Ukrainische Pflegefamilien – Angebot

Zwischen hier und dort, aber in Sicherheit

Bereichsleiterin Gessica D'Ancicco (3. v. r.) mit Pflegefamilie Zaporozhchenko

Im Frühjahr 2022 ermöglichte der Verein Tipiti elternlosen Kindern und Jugendlichen sowie ihren Pflegeeltern, die wegen des Kriegs in der Ukraine aus ihrer Heimat fliehen mussten, einen vorübergehenden Aufenthalt in der Schweiz gemäss Status S. Diese Pflege-Grossfamilien waren nicht in der Lage, aus eigener Kraft zu fliehen, und benötigten die Unterstützung des Vereins Tipiti sowie die Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden.

Zwei Etappen

Der Aufenthalt dieser Familien war in zwei Etappen geplant. Zunächst, von März 2022 bis zum Sommer 2023, fanden die Familien Unterkunft in gemeinschaftlichen Wohnanlagen in den Kantonen Appenzell Ausserrhoden und Waadt. Sie wurden in dieser Zeit von Fachteams des Vereins tipiti begleitet und teilweise in der Betreuung der Kinder unterstützt. Als Anfang 2023 klar wurde, dass der Krieg anhält und eine Rückkehr in die Ukraine vorerst nicht möglich ist, begann eine neue Phase: die Integration in der Schweiz. Inzwischen leben alle – zum Teil sehr grossen – Familien in individuellen Wohnungen oder Häusern im Kanton Appenzell Ausserrhoden, während die Suche nach passendem Wohnraum im Kanton Waadt noch fortgesetzt wird.

Finanzierung dank Partnern

Das Projekt in Rehetobel und in Gilly wird von der Öffentlichen Hand und SOS-Kinderdorf Schweiz sowie weiteren Spender·innen unterstützt. Dies ermöglicht eine kindeszentrierte Betreuung und eine entwicklungsfördernde Alltagsbegleitung auch bei ausserschulischen Aktivitäten. Wichtig ist auch die Unterstützung der Pflegeeltern, damit sie 'ihren' Kindern auch in dieser unsicheren Lebenssituation verlässliche und dauerhafte Bezugspersonen sein können. Die kontinuierliche Unterstützung der Pflegeeltern bleibt bis heute von entscheidender Bedeutung, damit sie ihren Schützlingen auch in dieser unsicheren Lebenslage als verlässliche und dauerhafte Bezugspersonen dienen können. In enger Zusammenarbeit mit den Pflegeeltern und dem Fachteam von tipiti streben alle Beteiligten danach, einen förderlichen Alltag für die Kinder und Jugendlichen zu gestalten, der ihre Entwicklung stärkt.

 

Unser tipiti-Begegnungszentrum Heiden AR

Lehrer Kornieiev mit Schülern im BZ Heiden

Das Begegnungszentrum in Heiden bietet den ukrainischen Pflegeeltern, -kindern und -jugendlichen einen Raum für Begegnung und zum Lernen. Hier arbeitet das Fachteam Familienbegleitung und bietet den Pflegefamilien vielfältige Unterstützung, Begleitung und Beratung an.

Für die Pflegeeltern finden regelmässige Weiterbildungsveranstaltungen statt. Themen können etwa das Schweizer duale Bildungssystem, die Krankenversicherung oder pädagogische Ansätze wie Biographiearbeit oder Neue Autorität sein. Für die Kinder und Jugendlichen findet ein regelmässiger Deutsch-Nachhilfeunterricht statt, welcher als Ergänzung zur Regelschule angeboten wird. Die Jugendlichen werden zudem in Form eines Jobcoachings darin begleitet, ihre berufliche Zukunft zu planen.

Der Standort Gilly im Kanton Waadt

In Gilly sind die Kinder und Jugendlichen ebenfalls in Familien untergebracht und erhalten dieselbe Unterstützung durch den Verein tipiti wie die Familien im Kanton Appenzell Ausserrhoden. Drei Monate nach ihrer Ankunft konnte sich eine der Familien über ein neugeborenes Kind in Gilly freuen.

Seit August 2022 wurden die Kinder in Gilly in das reguläre Schulsystem des Kantons Waadt integriert. Die Jugendlichen ab 16 Jahren besuchen die Integrationsklassen des Kantons. Kinder mit besonderen Bedürfnissen wurden in Sondereinrichtungen platziert.

Um die Autonomie und Integration der Pflege-Grossfamilien weiter zu fördern, ist das Fachteam vor Ort auf der Suche nach unabhängigen Unterkünften in der Region.

Die Familienbegleitung durch das Fachteam tipiti wird sowohl in Gilly als auch in Heiden mit denselben Prinzipien und Haltungen umgesetzt.

 

Die Begleitung der ukrainischen Pflegefamilien

Pflegefamilie Basai vor Appenzeller Hügeln

Die Familienbegleitung bietet ukrainischen Pflegefamilien eine ganzheitliche Unterstützung, indem sie ihre individuellen Bedürfnisse identifiziert, Ressourcen stärkt, Lösungen entwickelt und sie bei der Bewältigung von Herausforderungen begleitet.

Ziele der Familienbegleitung

Das Ziel der Familienbegleitung ist es, Unterstützung in Situationen anzubieten, die für Pflegefamilien, insbesondere für Kinder und Jugendliche, Hürden und Herausforderungen darstellen. Ein zentraler Aspekt dabei ist die interkulturelle Kommunikation, die über die blosse sprachliche Übersetzung hinausgeht. Die Pflegefamilien werden dabei unterstützt, sich im Schweizer System zu orientieren, sich Schritt für Schritt selbst zu integrieren und ihren Platz in der Gesellschaft zu finden. Die Begleitung passt sich kontinuierlich den Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen an.

Auf dem Weg ins eigenständige Leben unterscheiden wir die folgenden vier Phasen:

  • Ankunft: In dieser Phase bezogen die Grossfamilien die Kollektiv- Notunterkünfte. Im Kanton Appenzell Ausserrhoden das Haus 'Ob dem Holz' in Rehetobel, im Kanton Waadt ein Haus in der Gemeinde Gilly. Der Verlauf des Krieges war zu diesem Zeitpunkt noch sehr unklar, wodurch die Dauer des Aufenthaltes in der Schweiz noch nicht planbar war. In dieser Phase standen Sicherheit und ihr Schutz im Vordergrund. Während dieser ersten Zeit besuchten die Kinder und Jugendlichen in Rehetobel eine eigens für sie eingerichtete Schule, die von Tipiti geführt wurde. Die Kinder und Jugendlichen in Gilly wurden hingegen direkt in das öffentliche Schulsystem integriert.
  • Integration: Da der Krieg weiter andauerte und eine baldige Rückkehr der Ukrainer·innen nicht absehbar war, verlängerte der Bund den Schutzstatus S und somit das Aufenthaltsrecht dieser Familien. Daraufhin leitete der Verein tipiti im Frühjahr 2023 die Integrationsphase ein.

    Schritte zur erfolgreichen Integration in die örtliche Gesellschaft wurden nun entscheidend. Aus pädagogischer Sicht ist es besonders wichtig, dass Kinder und Jugendliche unabhängig von politischen Entscheidungen die Möglichkeit zur persönlichen Entwicklung und Entfaltung erhalten.

    Zu dieser Phase gehört somit das Beziehen eigener Wohnräume und die Einschulung der Kinder und Jugendlichen in die Regelschulen. Im Kanton Appenzell Ausserrhoden gelang dieser Schritt bei allen Familien problemlos. Im Kanton Waadt gestaltete sich dies hingegen wesentlich schwieriger, da nicht unmittelbar passender Wohnraum gefunden wurde.

    Im Kanton Appenzell Ausserrhoden wurde im August 2023 das Begegnungszentrum für die ukrainischen Pflegefamilien in der Gemeinde Heiden gegründet, um vor Ort Begegnung und Unterstützung zu ermöglichen. Im Kanton Waadt wird ein ähnliches Konzept angestrebt, sobald sich für alle Familien geeigneter Wohnraum hat finden lassen.
  • Selbstständigkeit: Der Schritt in die Selbständigkeit bedeutet, die Pflegefamilien im Schweizer System so zu ermächtigen, dass sie ihr Leben ähnlich wie Familien ohne Fluchthintergrund gestalten können.
  • Ablösung: Die Familienbegleitung durch tipiti reduziert sich auf das notwendigste. Das Ziel ist, dass den Familien ein möglichst selbstständiges und eigenständiges Leben gelingt. Wie in jeder Familie ist es allerdings so, dass junge Erwachsene auch nach dem Schritt in die Selbstständigkeit sporadisch Unterstützung durch das Familiensystem benötigen. Hier unterstützt tipiti die Pflegeeltern dabei, ihrem Auftrag als Eltern auch in der Nachbetreuung gerecht zu werden.

 

In diesen vier Phasen sind das Wohnen, der Spracherwerb, die Ausbildung und Arbeit, die emotionale Entwicklung und auch die persönliche Biographiearbeit («Woher komme ich? Wohin gehe ich?») stets zentral.

Die einzelnen Phasen überschneiden sich naturgemäss und verlaufen bei jedem Menschen unterschiedlich. Es ist die Aufgabe aller Beteiligten, die Entwicklung individuell hin zur nächsten Phase zu unterstützen und gleichzeitig zu verhindern, dass wichtige Schritte vergessen gehen.

 

Wie die ukrainischen Pflegekinder und -jugendlichen betreut werden.

Pflegefamilie Palarchuk am neuen Wohnort

Schon vor dem Krieg in der Ukraine lebten die Pflegekinder in ihren Pflege-Grossfamilien. Die Obhut sowie der Auftrag der Betreuung und Erziehung der Kinder und Jugendlichen liegen weiterhin bei den Pflegeeltern. Die Familienbegleitung von tipiti unterstützt die Eltern dabei, ihren Auftrag gemäss den individuellen Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen bestmöglich umzusetzen.

Ziele der Betreuungsarbeit

Das Ziel der Betreuung ist es, den Kindern und Jugendlichen eine stabile und sichere Bindung im Familiensystem zu bieten, um sie in ihrer Entwicklung zu stärken und bei der Findung ihrer Interessen zu unterstützen. Die Pflegeeltern fördern ihre Fähigkeiten in allen Lebensbereichen, sei es in der Schule, bei Hobbys oder in Ausbildungsplätzen, um ihre Autonomie zu stärken. Die Familienbegleiter·innen unterstützen die Pflegeeltern bedarfsgerecht in ihren Rollen, wobei stets die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen im Mittelpunkt stehen.

 

Was uns wichtig ist.

Pflegefamilie Rudkowsky vor ihrem Haus

Wir arbeiten mit dieser Grundhaltung nach diesen Leitwerten.

Biografiearbeit

Pflegefamilie Savina mit Dorfkirche im Hintergrund

Durch die Fremdplatzierung der Kinder und die anschliessende Flucht der Pflegefamilien haben die Kinder und Jugendlichen wiederholt das Gefühl der Entwurzelung aus dem vertrauten Umfeld und der wahrgenommenen Sicherheit erlebt. Dies kann für sie besondere Herausforderungen mit sich bringen, die eine erhöhte Sensibilität und einfühlsame Unterstützung erfordern.

Was ist der Rote Faden in der Biografiearbeit?

Die Pflegefamilien sowie die Kinder und Jugendlichen werden ermutigt, ihre Geschichten zu teilen, um eine Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart herzustellen. Die Betonung der kulturellen Identität stellt einen entscheidenden Bestandteil des roten Fadens dar. Ziel ist es, den Kindern und Jugendlichen zu helfen, ihre Wurzeln zu verstehen und zu schätzen, während sie sich in einem neuen kulturellen Umfeld entwickeln.

Der Rote Faden entwickelt sich weiter, indem die individuelle Entwicklung jedes Kindes berücksichtigt wird. In einer umfassenden Analyse werden die Bedürfnisse, Stärken, Interessen und persönlichen Ziele identifiziert und als Grundlage für die individuelle Förderplanung genutzt. Dies umfasst sowohl bildungsrelevante als auch soziale, emotionale und gesundheitliche Aspekte.

Besonderes Augenmerk legen wir auf die interkulturelle Integration. Der Förderplan für Kinder und Jugendliche umfasst Massnahmen zur Sprachförderung, kulturellen Orientierung und Integration in das schulische und soziale Umfeld. Darüber hinaus berücksichtigt die Förderplanung traumatische Erfahrungen, indem sie auf professionelle Unterstützung und Therapie zurückgreift, um die psychische Gesundheit der Kinder und Jugendlichen zu fördern.

Durch die Betonung von Kontinuität, kultureller Identität und individueller Entwicklung wird nicht nur eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart geschaffen, sondern auch eine solide Grundlage für eine hoffnungsvolle Zukunft gelegt. Es ist von grösster Bedeutung, dass die Unterstützung kontinuierlich angepasst wird, um den besonderen Bedürfnissen der Familien gerecht zu werden.

 

Projekte – eine Übersicht

Pflegefamilie Matviets im Wohnzimmer

2024

Die Projektplanung für die ukrainischen Kinder und Jugendlichen wird ab 2024 den Fokus auf Integration richten. Viermal im Jahr organisieren wir Spiel und Sportevents für die Kinder und Jugendlichen. Dabei dürfen die Kinder jeweils ‘Gspänli’ aus der Schule oder anderen Vereinen mitbringen. Darüber hinaus ermutigen wir die Kinder und Jugendliche dazu, an Schullagern und Angeboten örtlicher Vereine und Gemeinden teilzunehmen.

2023 Zirkusprojekt und Sommerfest

Kinder und Jugendliche durften an einem Zirkusprojekt teilnehmen und ihr Neugelerntes am Sommerfest in Rehetobel darbieten.

2023 Herbstlager

Bei einem von den ökumenischen Kirchen organisierten Herbstlager durften Kinder und Jugendliche der Pflegefamilien teilnehmen und wertvolle Kontakte zu hiesigen Kindern und Jugendlichen aufbauen.

2022 Sommerschule

Mit finanzieller Unterstützung der Glückskette stellte tipiti ein dreiwöchiges Sommerprogramm für die ukrainischen Kinder und Jugendlichen in Appenzell Ausserrhoden auf die Beine. Ziel war es, den geflüchteten Kindern und Jugendlichen positive Erlebnisse zu ermöglichen und sie im Rahmen einer ‘Sommerschule’ spielerisch mit ihrer neuen Umgebung und der neuen Sprache vertraut zu machen. Während dreier Wochen konnten sie an einer Vielzahl spannender Aktivitäten teilnehmen, wie gemeinsamem Kochen, Ausflügen, Klettern oder gar Theater.

Dank des grossen Erfolgs der 'Sommerschule' organisierte tipiti für die Herbstferien 2022 erneut ein Ferienprogramm, in Gilly in Zusammenarbeit mit dem Centre Sésame.

Video der Glückskette über die tipiti-Sommerschule 2022 in Rehetobel

Video über das Ferienprogramm in Gilly in Zusammenarbeit mit dem Centre Sésame

 

Eine Ombudsstelle für die ukrainischen Pflegefamilien

Eine vertrauensvolle Beziehung zwischen den Kindern und Jugendlichen, den Pflegeeltern, den Familienbegleiter·innen und dem Verein tipiti bildet den Kern des effektiven, harmonischen und nachhaltigen Zusammenwirkens. Diese Vertrauensbasis geht weit über eine einfache Zusammenarbeit hinaus und prägt massgeblich die Qualität der Dienstleistungen des Vereins tipiti.

Aus diesem Grund bietet der Verein tipiti den ukrainischen Pflegefamilien sowie dem Fachteam Familienbegleitung eine Ombudsstelle. Sie hat die wichtige Aufgabe, als neutrale Vermittlungsinstanz zwischen den verschiedenen Interessensgruppen innerhalb der Organisation zu fungieren. Die Hauptziele sind die Förderung von Transparenz, Gerechtigkeit und eines respektvollen Umgangs miteinander.

 

Team Bereich ukrainische Pflegefamilien

Gessica D'Ancicco

Bereichsleiterin, Mitglied der Geschäftsleitung
gessica.dancicco@tipiti.ch

Yves Eberle

Iulia Calenici

Dolmetscherin und Mitarbeiterin Betreuung
iulia.calenici@tipiti.ch

Mykyta Kornieiev

Nachhilfe-Lehrperson
mykyta.kornieiev@tipiti.ch

Christian Roth

Alexander Sperr

Kontakt

tipiti Begegnungszentrum Heiden AR
Am Rosenberg 2
9410 Heiden

E-Mail: bz_ar@tipiti.ch
Telefon: +41 (0)71 891 54 35