Selbstvertrauen stärken – gemeinsam wachsen

Von Rolf Widmer, Initiator und operativer Leiter bis Ende 2024

Nach 48 Jahren als Leiter von tipiti ist für mich ein besonderer Moment gekommen: Ich darf die Verantwortung in die Hände dreier engagierter Menschen legen. Es war keine leichte Entscheidung, aber es ist nun ein richtiger Entscheid für die Zukunft von tipiti und für mich persönlich. Dieser Übergang erfüllt mich mit tiefer Dankbarkeit für all die menschlich und fachlich engagierten Menschen, mit denen ich in diesen Jahrzehnten zusammenarbeiten durfte. Für die Kinder und Jugendlichen, die mich inspiriert haben – mit ihrer Stärke, ihrer Verletzlichkeit, ihrem Mut. Und für die vielen Spuren, die wir gemeinsam hinterlassen haben.

Doch mein Weg mit tipiti geht noch weiter. Bis zum fünfzigjährigen Bestehen im 2026 werde ich der neuen Geschäftsleitung und dem Vorstand weiterhin zur Seite stehen – und vor allem die gewachsenen Beziehungen zu den Mitarbeitenden sowie zu den Kindern und Jugendlichen pflegen. tipiti ist für mich mehr als eine Organisation – es ist ein lebendiges Netzwerk von Menschen, die sich mit persönlichem Engagement für die Zukunft von Kindern und Jugendlichen einsetzen.

Persönliches Wachstum

Das Thema bewegt mich seit jeher. Was gibt einem Kind die Kraft, seinen eigenen Weg zu gehen? Was hilft einem Jugendlichen, an sich zu glauben, auch wenn das Leben ihm Steine in den Weg legt? Wie können wir als Erwachsene ein Umfeld schaffen, das Mut macht statt Angst? Wir wissen: Persönliches Wachstum beginnt dort, wo Kinder sich sicher fühlen. Wo sie erleben, dass sie wertvoll sind. Wo sie entdecken dürfen, was in ihnen steckt.

Selbstvertrauen als Schlüssel zur Zukunft

Gerade für Kinder in schwierigen Lebenssituationen ist es entscheidend, Selbstvertrauen zu entwickeln. Ohne dieses gibt es keine Zukunftsperspektiven – aber mit Selbstvertrauen ist fast alles möglich. Die Berichte aus unseren Schulen, Pflegefamilien, dem Lern- und Begegnungszentrum mit den geflüchteten Jugendlichen und dem Bereich ukrainische Pflegekinder zeigen eindrücklich, wie wir Kindern und Jugendlichen dieses Fundament geben können. Kinder, die an sich glauben, können über sich hinauswachsen. Doch Selbstvertrauen fällt nicht vom Himmel. Es muss behutsam aufgebaut werden. Ich habe in den vielen Jahren bei tipiti erlebt, wie wichtig dabei vier Dinge sind:

  • Beziehungsarbeit – Vertrauen schafft Vertrauen

Jedes Kind braucht Menschen, die ihm mit Offenheit und Wertschätzung begegnen. In unseren Schulen und Pflegefamilien geht es nicht nur um Regeln oder Strukturen – es geht um Beziehungen. Wenn ein Kind spürt, dass es gehört wird und Fehler machen darf, dann kann es wachsen.

  • Partizipation – Kinder stark machen

Wir nehmen Kinder ernst. Wir lassen sie mitentscheiden. Denn nur wer erlebt, dass seine Stimme zählt, kann Selbstbewusstsein entwickeln. Unsere Schulen und Pflegefamilien sind Orte, an denen Kinder lernen: „Meine Meinung ist wichtig. Ich kann etwas bewirken.“

  • Erfolgserlebnisse – die Kraft der kleinen Schritte

Manchmal reicht ein erstes selbst geschriebenes Wort. Ein gemaltes Bild. Ein gewonnener Fussballmatch. Kleine Erfolge sind wie Bausteine für ein stabiles Selbstwertgefühl. Dank der Unterstützung unserer Spenderinnen und Spender können wir jedem Kind ein Hobby ermöglichen und damit viele Gelegenheiten, sich selbst von einer starken Seite zu erleben.

  • Ein sicheres Umfeld – Schutz, Geborgenheit, Mut

Kinder, die Traumatisches erlebt haben, brauchen einen Ort, an dem sie aufatmen können. Ein Zuhause, das sie stärkt. Unsere Pflegefamilien und Einrichtungen sind genau solche Orte. Hier werden Wunden nicht nur versorgt – hier heilen sie.

Herausforderungen und Chancen

Unsere Arbeit fordert viel Geduld, Fachwissen, Herzblut. Doch sie gibt auch unendlich viel zurück. Ich habe so viele Kinder erlebt, die anfangs verschlossen und ängstlich waren – und die jetzt, Jahre später, mit Zuversicht in ihre Zukunft blicken. Die Dinge zustande bringen, die sie sich früher nie zugetraut hätten. Die fliegen lernen. Besonders bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen und Pflegekindern sehe ich, wie wichtig es ist, Selbstwirksamkeit zu erfahren. Wir geben ihnen nicht nur ein Dach über dem Kopf, sondern auch Werkzeuge für ihr Leben: verlässliche Bezugspersonen, Sprachförderung, Berufsorientierung, soziale Integration. Jedes Kind, das diese Erfahrung machen kann, ist ein Kind, das sich seine Zukunft zurückerobert: „Ich kann etwas schaffen. Ich bin nicht allein.“

Gemeinsam wachsen, gemeinsam stark sein

Die Förderung von Persönlichem Wachstum ist keine Einzelaufgabe. Sie ist ein gemeinsames Versprechen, das wir als Gesellschaft unseren Kindern geben. Bei tipiti fragen wir uns bei jedem Kind: Was braucht dieses Kind, um seine Stärken zu entdecken? Wie können wir sein Umfeld so gestalten, dass es sich entfalten kann?

Danke für alles

Dank der Unterstützung unserer kantonalen und kommunalen Partner sowie vieler Menschen aus der Zivilgesellschaft können wir genau diese Fragen immer wieder stellen und Antworten finden, die wirklich helfen. Ein besonderes Dankeschön geht an alle unsere Mitarbeitenden, die tagtäglich an der Seite unserer Kinder stehen: Ihr seid es, die mit eurer Persönlichkeit, eurer Empathie und eurem Engagement dafür sorgt, dass aus Unsicherheit Selbstvertrauen wird. Dass aus Angst Mut wird. Dass Kinder sich zu träumen trauen. Tipiti bleibt für mich ein Teil meines Lebens – und mein Herz bleibt bei den Kindern und Jugendlichen. Danke für alles, was wir gemeinsam bewegt haben. Und für alles, was noch kommen wird.

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