Die neue Geschäftsleitung im Interview

Fotos: Gessica D'Ancicco, Larissa Frei und Stephan Herzer zusammen mit Rolf Widmer im tipiti-Zentralsekretariat Wil

«Wir sind noch voll in der Einarbeitung»

Die neue Geschäftsleitung steht seit Anfang 2025 in der Verantwortung. Ein Gespräch im Februar darüber, wie sich der Übergang zur neuen Führungsorganisation von tipiti gestaltet, wie willkommen Rolf Widmers einarbeitende Begleitung ist – und wie es sich anfühlt, in solch eine Aufgabe hineinzuwachsen.

Interview: Thomas Xaver Graf

Wie fühlt es sich an, jetzt voll «in charge» zu sein?

Gessica: Wir sind noch voll in der Einarbeitung. Ich bin seit Januar zusätzlich auf dieser Leitungsebene verantwortlich, also für den gesamten Kinder- und Jugendbereich. In solch ein Dreierteam hineinwachsen zu dürfen, ist eine riesige Bereicherung – und Rolfs Begleitung sehr wertvoll.

Larissa: Ich bin neu bei tipiti, dass Rolf noch da ist, gibt mir Sicherheit. Auch weil ich branchenfremd bin, ich komme aus der Privatwirtschaft, gibt es viel zu lernen. Rolf bleibt im Fundraising und den Aussenkontakten noch im Lead. Ich bin froh darum. Gleichzeitig sind wir daran, uns im Team «einzugrooven».

Stephan: Das erste Jahr war ein Hineinspringen in das tiefe Ende des Pools: Du machst alles zum ersten Mal. Jetzt gibt es mehr Austausch, kann ich auf Zentrale Dienste zurückgreifen. Ich finde es stark, in eine Zusammenarbeit zu kommen. Wo Entscheidungen gefällt werden, ist man im Endeffekt allein. Dass ich Rücksprache mit Leuten haben kann, die gleiche Werte vertreten und eine Ahnung von Finanzen haben, ist extrem hilfreich.

Rolf: Ich stehe voll hinter dem neuen Team. Mein Ziel ist es, so viel Verantwortung wie möglich zu übergeben, während das Leitungsteam auf mich zukommt, wenn mein Beitrag gefragt ist. Auf operativer Ebene funktioniert das bereits sehr gut. Auf der Beziehungsebene fällt es mir schwerer loszulassen – denn die Menschen bedeuten mir viel. Das ist ein Prozess, der Zeit braucht.

Ihr arbeitet alle in euren jeweiligen Geschäftsfeldern. Wie organisiert ihr euch im Leitungsteam?

Gessica: Wir haben monatlich eine GL-Sitzung, besprechen gemeinsame Themen, fällen Entscheide, schauen, wo es hingeht und ob wir auf dem gleichen Weg sind. Wir sind rasch auch bilateral am Telefon. Diese Lockerheit schätze ich sehr.

Larissa: Bei den Zentralen Diensten laufen viele Fäden zusammen, immer, wenn es um Geld oder Personal geht, bin ich involviert. Wir tauschen uns auch informell aus. Rolf ist auf Abruf da, vor allem bei Fragen der Haltung und Werte, gut, ihn noch als Kompass im Boot zu haben.

Seid ihr eine Dreier-Co-Leitung oder schmeisst jemand von euch den Laden und hat alles im Kopf, wie das bisher bei Rolf war?

Stephan: Wir haben unterdessen eine Komplexität und Heterogenität entwickelt, die nicht in meinen Kopf passen würde. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer Co-Leitung mit fachlichen Ausrichtungen.

Gessica: Zu grösseren Fragen gibt es einen regen Austausch. Gleichzeitig haben wir unseren Verantwortlichkeitsbereich und schätzen es, uns auszutauschen und zu unterstützen.

Larissa: Ich sehe meine Rolle als beratend und unterstützend. Unsere zentrale Aufgabe ist es, den Fachbereichen administrativ den Rücken freizuhalten, damit sie sich um die Kinder kümmern können.

Rolf: Ich verstand meine Rolle als Mitdenker und Unterstützer für diejenigen, die in der direkten Begleitung der Kinder und Jugendlichen tätig sind – insbesondere für die Bereichsleitenden. Mir war wichtig, ihnen Vertrauen und Raum zu geben – für mich mit ein Grund, warum viele Mitarbeitende langfristig bei tipiti bleiben: Sie schätzen den Gestaltungsspielraum für ihre eigene Entwicklung.

Was läuft aus eurer Sicht schon gut und was kann man verbessern?

Stephan: Dieser kooperative Ansatz gelingt schon gut. Es läuft schon Vieles teamübergreifend. Eine Baustelle ist derzeit das Anpassen der IT an unsere neue Arbeitsweise.

Gessica: Die Haltung stimmt bei uns überein, die Bedürfnisse des Kindes immer ins Zentrum zu stellen. Und wir wollen noch mehr unsere Synergien nutzen.

Larissa: Ich bin extrem beeindruckt von der geballten Fachkompetenz bei jeder und jedem. Das müssen wir weiter fördern, etwa mit unserem starken Weiterbildungsangebot.

Was möchtet ihr gemeinsam erreichen?

Gessica: Weiterhin Gutes für die einzelnen Lebenswege unserer Kinder bewirken, dass sie sich entfalten können, für ihre Rechte einstehen. Auf soziale Brennpunkte eingehen, weiterhin ständig dranbleiben.

Larissa: Wir sind so organisiert, dass wir schnell auf veränderte Umstände reagieren können. Das soll so bleiben.

Stephan: Wir erforschen beispielsweise den Umgang mit Heterogenität. Es gibt aufpoppende gesellschaftliche Phänomene, wir erhalten plötzlich gehäuft Anfragen für Sonderschulplätze im Kindergartenalter. Wir finden heraus, wie man damit umgehen kann. Unsere Lernhäuser sind Labore, wo die Zukunft von Schule erforscht wird.

Rolf: Ich freue mich über die Bereitschaft, in jeder Situation neu zu überlegen, was das Kind braucht und was die Mitarbeitenden benötigen, um es bestmöglich zu fördern. Professionalität verstehen wir nicht nur akademisch als Abgrenzung, sondern als gelebte, lernende Organisation – im Dasein und Dranbleiben, auch wenn es schwierig wird, im Einsatz für den besten Weg.

Was heisst ‘persönliches Wachstum’ für euch?

Stephan: Ein Klima, in dem ich gedeihe oder eben nicht. Da gehören alle Elemente des «Fraktals» dazu. Ohne Respekt im Umgang, ohne eine Umgebung, wo das möglich ist und ohne etwas zum Gelingen bringen zu wollen, wäre Wachstum nicht möglich. In diesem Klima hier kann ich wachsen und lernen.

Gessica: Ja, in diesem Umfeld kann ich in diese Rolle hineinwachsen. Wenn man irgendwo ansteht, hat man den Austausch zu dritt. Das ist eine riesige Ressource. Ich sage: Wir fahren noch mit Stützrädern und das Ziel ist, nachher selbst fahren zu können.

Bei tipiti arbeiten heute 240 Mitarbeitende, der Jahresaufwand liegt bei 15Millionen. Soll tipiti weiterwachsen?

Stephan: Wir wachsen ja nicht um des Wachstums Willen, sondern wo es einen Bedarf gibt, der unsere Präsenz, Tätigkeit und Kompetenzen fordert.

Rolf: Beim Wachstum ist es wichtig, bewusst zu entscheiden, wie und wofür es erfolgt. Es gibt eine Grenze der Überschaubarkeit – jede Einheit sollte so gross bleiben, dass sich alle noch kennen. Wir sind aktuell gut aufgestellt. Gleichzeitig liegt eine unserer Stärken darin, gezielt auch wieder abzubauen, wenn etwas nicht mehr benötigt wird.

Worauf sollen wir uns zum 50-Jahr-Jubiläum im nächsten Jahr freuen?

Gessica: Auf ein gutes Team, das unsere Organisation mit modernem Spirit dynamisch weiter vorantreibt. Mit den gleichen Vorstellungen betreffend Fraktal …

Larissa ergänzt: … und den Grundwerten, die Rolf vorlebt. Man kann neue Dinge angehen, aber die Grundhaltung macht uns aus, ihr müssen wir Sorge tragen.

Stephan: Hier zu arbeiten, zur Schule zu gehen, wohnen zu dürfen, ist eine Chance im Leben.

Rolf: Ich möchte noch kritisch zurückblicken: Wie geht es den Kindern, die bei uns aufgewachsen sind? Gibt es Aussagen, die helfen könnten? Zukunft zu gestalten, braucht auch Geschichte.

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