Editorial

Achtzehnjährige sollten wir nicht sich selbst überlassen.

Rolf Widmer: Achtzehnjährige sollten wir nicht sich selbst überlassen

Dieses Jahr berichten wir, wie sich bei uns das Thema 'Gestaltete Umgebung' in der Praxis ausformuliert. Es ist eines unserer vier Leitthemen, die wir 'Fraktal' nennen. Wir gestalten das Umfeld und die Beziehungen so, dass sie die Bedürfnisse jedes Kindes adressieren und seine Entwicklung positiv beeinflussen. Dies schliesst die Gestaltung physischer Räume und sozialer Aspekte ein – bis hin zu besonderen Unterstützungs-Massnahmen.

Ursprünglich wurde tipiti mit der Vision gegründet, dazu beizutragen, dass sich die Gesellschaft zu einer sozial gerechteren Welt verändert, in der Solidarität und Fürsorge füreinander vorhanden sind. Angesichts der aktuellen globalen Lage wird jedoch deutlich, dass es die Arbeit von tipiti und ähnlichen Organisationen weiterhin benötigt, um diese Vision zu verwirklichen.

Begleitung bis zur Selbstständigkeit

Pflege- und Heimkinder sowie unbegleitete minderjährige Flüchtlinge stehen weiterhin der Herausforderung gegenüber, dass der Gesetzgeber sie mit achtzehn Jahren als mündig betrachtet und sich selbst überlassen will. Sie sind dann aber meist noch nicht in der Lage, ihr Leben selbstständig zu bewältigen – wie die meisten der 1,75 Millionen Kinder in der Schweiz. 'Unsere' jungen Menschen ohne stabiles familiäres Netzwerk benötigen eine gute Begleitung auf ihrem Weg zur Selbstständigkeit.

Oft sind die gesetzlichen Rahmenbedingungen nicht förderlich. Zum Beispiel, wenn Pflege- und Heimkinder nach Abschluss der Ausbildung eine Rechnung dafür erhalten, was sie der öffentlichen Hand nach achtzehn gekostet haben! Es ist bedauerlich, dass in vielen Kantonen jugendliche Flüchtlinge über achtzehn auf ihrem beruflichen Ausbildungsweg nicht altersadäquat begleitet werden. Diese Unterversorgung trägt dazu bei, dass einige junge Menschen Schwierigkeiten haben, sich zu integrieren. Das wiederum wird von rechtspopulistischen Parteien als Argument genutzt, um gegen Migration zu argumentieren.

Das Erfolgsmodell im Kanton Appenzell-Ausserrhoden

So ist es für uns besonders ermutigend, dass der Kanton Appenzell AR tipiti seit 2016 ermöglicht, unbegleitete minderjährige Geflüchtete bis zum Abschluss einer Berufsausbildung durchgehend zu begleiten. Die positiven Auswirkungen dieser Massnahme sind offensichtlich: Unsere Jugendlichen erzielen bei der Berufsausbildung eine hohe Erfolgsquote, werden dadurch selbstständig und bringen gefragte Qualifikationen für den Arbeitsmarkt mit.

Unsere Arbeit wäre ohne die Unterstützung vieler Menschen aus der Zivilgesellschaft nicht möglich. Die Zusammenarbeit mit Pflege- und Gastfamilien, Partnerorganisationen, Auftraggebenden und Sponsoren ist entscheidend, um den jungen Menschen verlässliche Beziehungen und eine positive Umgebung zu bieten. Ein herzliches Dankeschön an alle, die dazu beitragen, die Mission von tipiti zu verwirklichen. Speziell gilt dieses unseren Mitarbeiter·innen, die täglich mit Engagement und Empathie direkt mit den Pflegekindern und Lernenden arbeiten respektive zusammenleben, – und unserem Vorstand, der uns in der Umsetzung unserer Arbeit stark unterstützt.

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