Von Rolf Widmer, operativer Leiter

Gelungene Übergänge machen stark für’s Leben.

Der grösste Teil des Jahres 2020 war gezeichnet von der Pandemie, die unsere Welt (noch immer) heimsucht. Distanz zu halten und trotzdem Beziehungsnähe zu ermöglichen, ist die grosse Herausforderung unserer Mitarbeitenden in den Pflegefamilien, Jugendwohnungen und in der schulischen Förderung. Dieser Jahresbericht hat das Schwerpunktthema «Übergänge und Wandel».

Es ist uns wichtig, die Beziehungsnähe zu unseren Kindern und Jugendlichen aufrechtzuerhalten und ihnen in dieser besonderen Situation, in der viele altersgemässe Aktivitäten nicht möglich sind, ein Ort zu sein, wo man sich füreinander interessiert und Zugehörigkeit vermittelt. In unseren Schulen wurden wir auch von den neuen digitalen Möglichkeiten und Grenzen herausgefordert. Wir konnten viele positive Erfahrungen machen, die auch im normalen Schulalltag helfen, unser Förderangebot und das Empowerment mit den Lernenden noch zielorientierter zu gestalten.

Veränderung empathisch begleiten

Übergänge bedeuten in der Regel Abschied von Vertrautem und erfordern, sich auf Neues einzulassen. Sie stellen längerfristige Prozesse dar und sind für den Einzelnen und das soziale Umfeld mit Veränderungen verbunden. Je nach guter Begleitung und Unterstützung des jungen Menschen können diese sich positiv oder negativ auf die Entwicklung auswirken. Nicht immer bringt ein Übergang für Kinder Probleme mit sich. Oft gelingen diese Veränderungen automatisch, weil Eltern ihre Kinder intuitiv und empathisch begleiten und unterstützen.

Tipiti begleitet und fördert zurzeit mehr als 200 Kinder und Jugendliche. Viele von ihnen können sich nicht auf eine verlässliche, konstante Elternbeziehung abstützen. Wenn Veränderungen auf sie zukommen, sind sie oft «alleine». Manche unserer Kinder erleben die erste Veränderung bereits direkt nach der Geburt, wenn ihre Eltern nicht in der Lage sind, für sie zu sorgen. Andere Kinder verbringen einige Jahre in ihrer Familie. Wenn sie dort keine Sicherheit und kein angstfreies Umfeld erleben können, ist eine Pflegefamilie für sie oft förderlich. Zudem gelangen unbegleitete minderjährige Jugendliche zu uns, die aus kriegsversehrten Ländern geflüchtet sind. Sie liessen ihre Familie und Freunde zurück, um in einem ihnen fremden Land eine ungewisse Zukunft zu beginnen.

Tipiti sucht die Zusammenarbeit mit Menschen, die sich familienergänzend und/oder -ersetzend für Kinder und Jugendliche engagieren, wenn sie in ihrem ursprünglichen familiären Setting keine Sicherheit erleben. Diese Kinder und Jugendlichen brauchen einen Lebensraum, wo sie mit verlässlichen Bezugspersonen leben können, die ihnen ein entwicklungsförderndes Umfeld und einen Rahmen für die Entwicklung persönlicher Perspektiven schaffen.

Flüchtlingskinder in Griechenland

Vor über einem Jahr forderten wie wir von tipiti viele Menschen und Organisationen und auch einige Kantone und Städte nach dem Brand des überfüllten Flüchtlingslagers von Moria den Bundesrat auf, Flüchtlingskinder in der Schweiz aufzunehmen. Freie Plätze und geschultes Personal standen zur Verfügung. Doch die verantwortliche Bundesrätin verweigert die Aufnahme dieser Kinder bis heute. Trotz der Hilfe vor Ort leben noch immer mehr als 4000 unbegleitete Minderjährige in Griechenland – neunzig Prozent über 14 Jahre alt. Viele werden als Flüchtlinge dort bleiben und bald erwachsen sein. Sie haben begrenzte Möglichkeiten, sich in der lokalen Gesellschaft und im Arbeitsmarkt zu etablieren. Wir möchten unsere griechische Partnerorganisation mit unserem Know-how beim Aufbau eines Ausbildungszentrums unterstützen, das praxisorientierte Ausbildungen für den Aufbau beruflicher Perspektiven in Griechenland anbietet.

Besonderer Dank

Ich danke unseren Mitarbeitenden, aber auch unseren Kindern und Jugendlichen für ihren gemeinsamen zusätzlichen Einsatz während der Pandemie herzlich und hoffe, wir werden auch die weitere Zeit ohne grosse Behinderung überstehen. Im Namen des Vorstandes und aller Mitarbeitenden danke ich allen Menschen, Kantons- und Gemeindevertreter*innen sowie Stiftungen, die durch ihr konstruktives Mitwirken jungen Menschen mit einer belastenden Vergangenheit die Gestaltung einer positiven Zukunft ermöglichen.