Ein Familienplatz für Babys vor der Adoption

Seit Kurzem führt tipiti Übergangsfamilien, die ganz junge Babys in einer Phase betreuen, in der das Adoptionsverfahren unterwegs ist.

Von Monika Stillhart, Fachberaterin Übergangspflegefamilien

Im Frühjahr 2016 übernahm tipiti den Auftrag der Rekrutierung, Aus- und Weiterbildung und des Coachings von Übergangsfamilien für Kinder im Vorfeld von Adoptionen von der Schweizerischen Fachstelle für Adoption zusammen mit Pflegekinder Schweiz PACH. Derzeit sind 16 Familien aktiv unter Vertrag. Sieben bereits platzierte Babys konnten wir mit übernehmen; pro Jahr gehen wir von acht Babys aus, die platziert werden.

Wir legen grossen Wert auf weiche Übergänge, da die Babys bereits das zweite Mal einen Wechsel in der Beziehung zur wichtigsten Person machen müssen. Zehn gegenseitige Besuche vor der Platzierung und sicher drei Nachbesuche sind dafür nötig. Zeigt das Baby, dass es mehr Zeit für den Übergang braucht, wird diese Phase verlängert. Die Fachberaterin tipiti wird sicher drei Mal vor Ort sein, um den Prozess zu begleiten.

Unsere Pflegefamilien schreiben einen Entwicklungsbericht, um einen guten Übergang zu den Adoptiveltern zu ermöglichen. Lesen Sie einen Ausschnitt des Berichts vom Fotografen Sepp (56) und der ehemaligen Kinderkrankenschwester und langjährigen Pflegemutter Ruth (57). Von deren drei Kindern ist der älteste Sohn verheiratet, die andern zwei Kinder im Alter zwischen 17 und 22 Jahren sind in der Ausbildung und leben noch zu Hause.

Unser neuestes Pflegebaby heisst John*

Wir freuten uns riesig, als die Anfrage kam, ob wir wieder für ein Baby bereit wären. Und noch mehr, als «unser» Baby dann auf der Welt war! Vereinbart war ein erster Besuch bei John im Spital. Als ich dort ankam, war die Mutter schon am Austreten und so kam es, dass ich John im zarten Alter von gerade mal einem Tag gleich mit nach Hause nehmen durfte. Alle Familienmitglieder hiessen ihn herzhaft willkommen, begleitet von vielen Jööhs!

Der erste Monat

John hat immer mehr wache Phasen. Vor allem morgens, frisch ausgeschlafen, kann er uns mit seinen großen Augen anschauen und im Alter von zwei Wochen bereits lächeln, wenn wir mit ihm reden oder singen – einfach herrlich! Er kann sich richtig schön entspannen in unseren Armen, liebt es, bäuchlings auf uns zu liegen oder im Tragetuch mit dabei zu sein. Er wirkt sehr zufrieden und ausgeglichen. Die Ernährung klappt sehr gut, auch das schwallartige Erbrechen reduziert sich zusehends. Gegen Ende dieses ersten Monats werden die Nächte immer besser, so langsam findet er einen Tag- und Nacht-Rhythmus. Zeiten, wo er mitten in der Nacht für eine, zwei Stunden wach ist, sind seltener geworden. Von Anfang an genoss er es zu baden, was wir bisher bei den ganz jungen Babys nicht erlebten. Ganz «andächtig» kann er da lange einfach im Wasser liegen. Auch das anschließende Massieren scheint er zu genießen.

Der zweite Monat

John hat großen Hunger und ist für sein Alter sehr gross und schwer. Es ist schön, ihn immer besser zu verstehen, zum Beispiel, ob das seltene Jammern nun eher «Hunger» oder eher «müde» bedeutet. Er weint eigentlich nie, ausser der Schoppen kommt nicht schnell genug.

Der dritte Monat

Wir dürfen Weihnachten mit John feiern! Er liess sich von all dem Rummel nicht aus der Ruhe bringen oder vom Schlaf abhalten. John schläft zwischendurch auf dem Bauch. Vor allem nachts, wenn er unruhig ist, scheint er das sehr zu mögen, wenn wir ihn auf den Bauch drehen. Er nimmt keinen Nuggi, da sind wir froh um andere Möglichkeiten, ihn zu beruhigen. Tagsüber liegt er nicht gern auf dem Bauch. Sein Kopf scheint schwer zu sein, nach kurzer Zeit sinkt der Kopf jeweilen auf die Unterlage. So trainieren wir seine Rückenmuskeln auf dem Gymnastikball. Das geht immer besser. Er beobachtet seine Umgebung intensiv, ein aufgehängtes Spielzeug beginnt er zaghaft zu berühren. Er liebt es, auf unserem Schoss sitzend mit dabei zu sein. Er plaudert gerne – so süss! Tagsüber packen wir ihn oft in seinen Skianzug. Im Kinderwagen schläft er dann draussen an der frischen Luft. Das scheint er zu mögen, denn drinnen ist er jeweils viel schneller wieder unruhig und wach.

Der 4. Monat

Zusammen mit John in den Schneeferien: Der Wechsel scheint ihm keine Mühe zu bereiten und Autofahren mag er auch. Wir Eltern und unsere Kinder mit Anhang genossen diese Woche mit Sonne und Schnee sehr –John war auf dem Schlitten oder in der Bauchtrage stets mit dabei. Wir erlebten, wie er laut lachte, nicht weil wir ihn kitzelten oder ihn direkt ansprachen. Es ging so: Mein Mann und ich spielten aus Spaß «Schere, Stei, Papier» darum, wer Johns volle Windel wechseln gehen darf. Da begann John laut zu lachen. Also spielten wir weiter und John lachte jedes Mal unermüdlich laut los. In Bauchlage turnt er immer noch nicht gerne, doch auf dem Schoss sitzend zappelt er oft wild, als würde er am liebsten rennen.

Der 5.Monat

Mit vier Monaten ist er schon 7.7 Kilogramm schwer und 68 Zentimeter lang. Die ersten Breimahlzeiten mag er noch gar nicht. Er verzieht das Gesicht und wehrt sich bei allen Versuchen. So bleiben wir vorerst beim Schoppen. John beginnt zu fremden: Er verzieht bei fremden Leuten das Gesicht und drückt sein Unbehagen auch mal mit Weinen aus, wenn eine fremde Person ihn auf den Arm nehmen will. Auch Personen, die auf Distanz bleiben, bekommen nun nicht mehr «einfach so» seine zuckersüßen Smiles geschenkt, sondern er mustert sie zuweilen sehr kritisch. Wir machen ein paar Ausflüge mit John, besuchen unter anderem ein ehemaliges Pflegebaby. Die einen Ausflüge gehen tipptopp, bei andern beobachtet John den ganzen Tag sehr intensiv all das Neue (Zug, Tram, Stadt, kleine Kinder) und entsprechend schwierig ist abends das Einschlafen, weil er noch so unruhig ist. Doch grundsätzlich können wir ihn abends gegen 20 Uhr ins Bettchen bringen, und nach dem Abendritual schläft er schnell und problemlos ein. Er schläft dann meist bis sechs Uhr morgens nonstop! Sein Bettchen steht direkt neben uns. Tagsüber schläft er nun nicht mehr im Kinderwagen, sondern meist in der Hängematte. Übrigens: Mit «Schere, Stei, Papier» konnten wir John bloss damals in den Schneeferien zum Lachen bringen. Neuestens ist es «Br-tsch-tsch» –bei diesem «Wort» lacht er jedes Mal laut los.

John ist wirklich herrlich! Wir lieben ihn von ganzem Herzen, genießen es sehr, dass er bei uns ist und wir seine Übergangspflegeeltern sein dürfen!

 

Die Übergangspflegeeltern führen den Entwicklungsbericht so weiter, bis die definitive Freigabe für den Wechsel in die Adoptivfamilie eintrifft.. Wenn immer möglich finden bereits vor der definitiven Übergabe Besuche im Zuhause der zukünftigen Eltern statt. Alle entscheiden gemeinsam, ob weitere Besuche zum Wohle des Kindes angezeigt sind oder ob es im Sinn des Kindes ist, nun den Umzug zu den zukünftigen Eltern einzuleiten. Die Übergangspflegeeltern erklären dem Kind, dass es ab nun bei seinen «neuen» Eltern leben wird, dass diese schon lange auf es warten und dass sich die Übergangspflegefamilie freut, dass das Kind an einen guten Platz kommt. Die Übergangspflegeeltern übergeben den zukünftigen Eltern alle Unterlagen, die sie vom Kind haben, das Arztbüchlein, das Armbändchen vom Spital usw.. Das Album mit den Fotos, Tagebucheinträgen und Entwicklungsbericht kann jetzt oder ein paar Wochen später Übergeben werden. Eine Kopie mit dem Datenstick geht an die zukünftigen Eltern und eine weitere an die Fachstelle für Adoption zur Dokumentation und für die Biografische Arbeit.

Für das Kind ist es wichtig, dass möglichst viel Vertrautes in die zukünftige Familie mit geht: Das bisherige Nuscheli, der Nuggi, das Lieblingskuscheltier, die gewohnten Kleider, etc. So ist es von gewohnten Gerüchen umgeben. Die Kleider können den Übergangspflegeeltern später zurückgegeben werden. Die Übergangspflegeeltern verabschieden sich vom Kind und von den zukünftigen Eltern – und kündigen gleichzeitig ihren Besuch für den nächsten Tag an.

Wenn immer möglich besuchen die Pflegeeltern die zukünftige Familie am Morgen nach der ersten Nacht, die das Kind bei seiner neuen Familie verbracht hat. Das Kind lernt damit, dass Übergänge nicht mit Verlusten von Beziehungen einhergehen. Das ist eine wichtige und heilende Erfahrung für Kinder, die von ihren Müttern weggegeben wurden. Die Besuche der Übergangspflegeeltern gehen mit grösser werdenden Zeitintervallen ein paar Wochen lang weiter.

 

Wir begrüssen es sehr, wenn der Kontakt zwischen Übergangspflegeeltern und zukünftigen Eltern weiter gehen kann. Für die Biografiearbeit mit dem Kind ist es wertvoll, wenn die Übergangspflegeeltern zugänglich bleiben, und dem Kind selber erzählen können, wie sie es im Spital abgeholt haben, was sie von der Mutter wissen, usw.. Wir danken allen Beteiligten für die Geduld, die Zeit und die Feinfühligkeit, mit der sie dem Kind einen guten Übergang ermöglichen.

 

*Alle Namen zum Schutz der betroffenen Personen geändert