Trauma-bedingte Verletzungen heilen

Ausführliche Version des Interviews mit Heinz Münger.

Heinz Münger arbeitet in seiner Praxis seit vierzig Jahren mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen und bedauert, dass vielen zu wenig geholfen werden konnte. Der Psychologe und Psychotherapeut schildert hier sein neues trauma-pädagogisches Modell H.O.R.T.

Interview und Redaktion: Thomas Graf, kommunikationsberater.ch

Heinz, du warst 40 Jahre lang einer der Pioniere in der Sozialpädagogik und mitprägend bei tipiti. Was war deine Rolle in dieser Zeit?
Mir war es ein Herzensanliegen, Möglichkeiten zu finden, den vielen seelisch tief verletzten Kindern Hilfe zukommen zu lassen, ihre Traumen zu heilen und weitere Traumen möglichst zu verhindern. Für die Mitarbeiter war es mir wichtig, dass sie genügend Unterstützung erhielten und ihre schwierige Arbeit gewürdigt wurde. Mein Anliegen ist nicht die Suche nach einer neuen Betreuungsform, sondern die Frage, wie tiefe alte Verletzungen im Alltagleben geheilt werden könnten.

Weshalb schlägst du ein trauma-pädagogisches Modell für die sozialpädagogische Arbeit vor?
Vielen Kindern kann mit bestehenden Arbeitsmethoden nicht genügend geholfen werden. Wir versuchten viele Ansätze: lösungsorientierte, ressourcenorientierte, systemorientierte, verhaltensorientierte, erlebnisorientierte usw. Das waren wichtige Erfahrungen, nur die Wurzeln der Verletzungen wurden nicht immer geheilt. Auch unsere Initiativen, Heimstrukturen zu verändern und durch neue Fremderziehungsmodelle bessere Lebensbedingungen für die Kinder zu ermöglichen, trugen nur teilweise Früchte. Die traumabedingten Verletzungen blieben für einige Kinder eine grosse Beeinträchtigung. Ebenso schmerzte viele Betreuungs¬personen, trotz viel Herzblut und Einsatz akzeptieren zu müssen, dass einige Kinder im Erwachsenenleben enorme Schwierigkeiten hatten.

Durch meine Arbeit als Therapeut lernte ich hilfreiche Trauma-Therapien kennen und kam zur Überzeugung, dass vieles aus der psychodynamisch imaginativen Traumatherapie (PITT) und der Psychotraumatologie auch für die Kinder im pädagogischen Alltagsleben umgesetzt werden könnte. Nachdem ich 2015 beschlossen hatte, bei tipiti und im Wohnheim für Kinder und Jugendliche Riederenholz meine Arbeit zu beenden, wurde es ein Anliegen für mich, meine Erfahrungen auszuwerten. Daraus entstand ein Arbeitskonzept für die Betreuung von traumatisierten Kindern.

Du sagst, Verhalten, das durch traumatische Erfahrung geprägt ist, könne nicht «weg erzogen» werden und willst Verletzungen «heilen». Was können das für Verletzungen sein?
Die Folgestörungen von Traumen (PTBS), also schwerer psychischer Verletzungen, heilen sich nicht selber aus. Bei einem Trauma ist das Stammhirn betroffen, das für alle lebenswichtigen Funktionen verantwortlich ist. Wird ein kleines Kind z. B. abgelehnt, ist das für das Stammhirn eine Todesdrohung. Kleinkinder ohne Zuwendung sterben. Das Stammhirn ist der älteste Teil des Hirns und für alle lebenswichtigen Funktionen verantwortlich. Die anderen Hirnteile bekommen den Befehl alles zu unternehmen, um zu überleben; zu schreien, mit allen Mitteln auf sich aufmerksam zu machen. Geschieht dieser Zustand des «Abgelehnt-werdens» oft, entstehen im Hirn keine Verknüpfungen, die Sicherheit und Geborgenheit kennzeichnen. Das Kind kennt diese Gefühle nicht. Dadurch fehlen ein lebensnotwendiger Erfahrungsboden und eine wesentliche Verknüpfung im Hirn. Gleichzeitig bleibt das Nervensystem in permanenter Anspannung. Dies kann eine schwere Beeinträchtigung, eine Behinderung, ein Mangel oder permanenten Stress zur Folge haben.

Wird nun das Stammhirn vom Kind im späteren Leben durch eine Farbe, eine Atmosphäre oder ein Wort an die Angst von dazumal erinnert, stellt es sofort den Überlebensmodus ein. Es hat keine Chance den Schalter wieder umzustellen. Das ist nur eine der vielen Möglichkeiten wie eine Verletzung aussehen kann.
Resilienz und neue Verknüpfungen im Hirn anregen

Wie müssen wir uns so eine Heilung vorstellen?
Es gibt mindestens zwei Wege, oft wird man beide gehen. Ich nenne als Beispiel ein sechsjähriges Pflegekind, das über längere Zeit eine traumatische Zurückweisung durch die drogensüchtige Mutter erlebte, bis es zwei Jahre alt war. Der Pflegemutter gelingt es instinktiv, die verletzten, zwei Jahre alten emotionalen Persönlichkeitsanteile des Pflegekindes «nachzuversorgen». Es beginnt Gefühle der Geborgenheit und Sicherheit zu erleben. Im Hirn entstehen neue Verknüpfungen, es erlernt eine neue Überlebensstrategie: z.B. bei Panik Hilfe zu holen.

Ein zweiter Weg geschieht durch das Rollenspiel, durch Theater oder Imagination. Diese schöpferischen Tätigkeiten bewirken das Gleiche und können im Hirn auch neue neuronale Verbindungen zwischen dem Stammhirn und dem limbischen System schaffen. So funktioniert die Heilung schematisch. Damit die Heilung funktioniert, braucht aber es viele Schritte und Bedingungen.

Wieso müssen traumatisierte Kinder behandelt bzw. «geheilt» werden? Wachsen sich diese Sachen nicht aus?
Frühe Traumen wirken tief im Stammhirn und sind verbunden mit dem Überlebenstrieb. Laut Resilienzforschung gibt es Menschen, die schwere Traumen dank ihrer psychischen Widerstandsfähigkeit gut überleben und eventuell auswachsen. Leider habe ich bisher mit anderen Menschen zu tun gehabt. Die Fähigkeit zu Resilienz ist eine wichtige Hilfe im Heilungsprozess und muss angeregt werden. Werden die Traumen der Kinder nicht behandelt, bleiben grosse Einschränkungen bestehen. Das eigentliche Potenzial eines Traumatisierten kann nicht ausgeschöpft werden. Schul- und Lernschwierigkeiten werden oft nicht als das Produkt von Traumen gesehen. Unfähigkeit, Freundschaften mit anderen Kindern zu halten, führt zur Isolation. Ängste, Paniken können jederzeit auftreten. Diese Kinder sind immer unter Druck und leiden. Im späteren Leben sind Beziehungen und Arbeitsstellen bei Konflikten schnell gefährdet. Bei der Erziehung von eigenen Kindern werden die Traumen weitergegeben. Darum sollten wir die Heilung der Traumen so schnell wie möglich angehen.

Treffen wir in der Fremderziehung oft auf traumatisierte Kinder?
Für viele Kinder in der Fremderziehung hat oft der Start ins Leben traumatisch angefangen. Sie sind ohne Liebe entstanden und schon während der Schwangerschaft abgelehnt worden. Die Mütter haben versucht, sie abzutreiben, tranken übermässig Alkohol, nahmen Drogen oder Medikamente. Die Babys haben Gewalt und massive Ängste der Mütter erlebt. Jeder dieser Punkte kann zu massiven Traumatisierungen führen. Bei der Geburt gibt es ebenfalls einige traumatische Erfahrungen wie z.B. Sauerstoffmangel, Nabelschnurverwicklungen, Ablehnungen, etc. In den ersten Monaten sind es Beziehungslosigkeit, Unfähigkeit, das Kind mit seinen Bedürfnissen wahrzunehmen, Ängste der Mutter, mangelnde physische Versorgung, Gewalt, sexueller Missbrauch, körperliche und psychische Strafen, auch bewusster Liebesentzug, unvorbereitete Weggabe des Kindes, strukturloser Alltag, Willkür, Misshandlungen etc.. Oft haben die Kinder eine Anhäufung dieser traumatischen Erfahrungen erlebt.

Gibt es typisches Verhalten, das auf Traumata hinweist?
Diese Aufzählung ist nur ein kleiner Ausschnitt des Verhaltens, das auf ein Trauma hinweisen kann. Um eine differenzierte Diagnose zu geben, muss man das Kind kennen und auch etwas von seiner Geschichte wissen.

  • Heftiges, unkontrolliertes oder aggressives Verhalten ohne ersichtliche Gründe. Das Verhalten ist inadäquat. Beispiel: das Kind wird angestossen und reagiert mit Schlägen, da es sich bedroht fühlt.
  • unerwarteter Rückzug ohne ersichtlichen Grund
  • unverständliches Lügen. Beispiel: Das Kind lügt wegen Kleinigkeiten, obwohl die Wahrheit gar keine Folgen hätte.
  • Verdrehen der Realität. Beispiel: »Die Lehrperson/die Pflegemutter hat mich geschlagen.« In Wirklichkeit hat der Erwachsene das Kind nur zurecht gewiesen.
  • das Kind dissoziiert (ist nicht anwesend)
  • übermässiges Kontrollieren
  • erstarrte Emotionen
  • körperliche Verspannungen
  • selbstverletzendes Verhalten
  • schlechtes Schmerzempfinden
  • mangelhafte Wärme-Kälte-Wahrnehmung
  • schreckhaftes Verhalten in nicht adäquaten Situationen
  • Schlafstörungen und Angstträume
  • Suchtstrukturen jeder Art

Du sagst, diese Muster seien Überlebensstrategien. Was meinst du damit?
Wie schon gesagt, geht es bei Traumen für das Kind ums Überleben. Die wichtigsten Überlebensreaktionen auf ein Trauma sind: 1. Angriff, 2. Flucht, 3. Erstarrung und 4. Anpassung. Die Reaktionen des Kindes verlaufen meistens im gleichen Muster. Ein paar Jahre später, nachdem das Kind mehrfach traumatisiert wurde, braucht es in einer bestimmten Situation nur einen kleinen Auslöser, es mag ein Wort, eine Haltung, ein Geruch sein, welches das Stammhirn an die alte Bedrohungssituation erinnert, und es beginnt ein völlig autonomes Notfallprogramm beim traumatisierten Kinde abzulaufen. Dieses Notfallprogramm nenne ich die persönliche Überlebensstrategie eines Kindes.

Was ist wichtig zu berücksichtigen, wenn wir mit traumatisierten Kindern arbeiten?
Die Menschen die mit traumatisierten Kindern arbeiten, brauchen viel Unterstützung und konkrete Vernetzung. Sie sollen die Arbeit nicht alleine machen müssen. Sie sollten wissen, wie sie ihre eigenen Traumen behandeln können und sind damit für das Kind ein Vorbild. Sie haben die kreative, schöpferische und heilende Seite in der Arbeit mit Traumatisierten kennengelernt, sodass diese Arbeit auch Freude macht. Sie haben entdeckt, dass Selbstentwicklung, Gelassenheit und Mitgefühl für ihr Leben eine grosse Bereicherung sind. Trauma-pädagogisches Arbeiten setzt, neben guten Fachkenntnissen über Traumen, eine hohe Reflektionsfähigkeit und die Fähigkeit zu tiefem Mitgefühl voraus.

H.O.R.T.: Heilende Räume - Orientierung - Ressourcen - Trauma

Was ist nun das trauma-pädagogische Modell H.O.R.T.? Wieso heisst es so?
Es gibt vier verschiedene Bereiche, die bei der Arbeit mit traumatisierten Kindern wichtig sind. Fügt man die Anfangsbuchstaben dieser Bereiche zusammen ergibt es das Wort HORT. H = Heilende Räume, O = Orientierung, R = Ressourcen, T =Trauma. Ich fand das passend, denn «Hort», lateinisch hortus bedeutet: befriedeter Raum, geschützter Garten oder Zufluchtsort. Genau passend für traumatisierte Kinder.

Ein verletztes Kind braucht zuerst viel Heilendes in seiner Umgebung; eine warme und liebevolle Atmosphäre, schön eingerichtete Wohnung; Betreuungspersonen, die tiefes Verständnis und Wissen zum Thema Trauma haben und dadurch das traumabedingte unangepasste Verhalten nicht verurteilen, Menschen, die ihr Mitgefühl entwickelt haben. Traumatisierte brauchen viel Ruhe. Tanzen, Malen, Theaterspielen sind Tätigkeiten, die durch ihre kreativen und schöpferischen Seiten heilen. Viele Sportarten, viel Bewegung und in der Natur zu sein, sind eine grosse Hilfe. Dies und vieles mehr gehört zu den heilenden Feldern, dem H.

Zum O der Orientierung: Es ist wichtig, dass das Kind und die Umgebung wissen, dass es traumatisiert ist. Das Kind und die Umwelt können sein Verhalten, seine Beschränkungen nur verstehen, wenn sie die tieferen Ursachen kennen. Auf dieser Grundlage muss nicht geschönt und überspielt werden. Traumatisierte Kinder brauchen sehr viele Erklärungen und Orientierung, z.B. warum sie in einer Pflegefamilie sind, warum sie eine spezielle Schule besuchen, warum die Eltern kein Besuchsrecht haben, wie die Regeln am neuen Ort sind und vieles mehr.

Beim Schritt R sollten wir auch bei traumatisierten Menschen unseren Fokus auf seine Ressourcen und Stärken richten und genau hinschauen, was er schon alles kann. Viele der Stärken können ausgebaut werden. Gerade die Fähigkeit, schreckliche Traumen überlebt zu haben zeigt, dass noch viel kreative und schöpferische Kraft gefunden, entdeckt und genutzt werden kann. Stärken könnten hier u.a. im Sport, Theater, in der Musik oder anderen Freizeitbeschäftigungen gefunden werden. Der Ressourcenaufbau dient der Stärkung, um an die Hauptaufgabe, die Transformation, an das Wandeln, das Stoppen des destruktiven zerstörerischen Traumaverhaltens zu gehen.

T steht für Konfrontation mit den Traumen: Das Kind und die Erwachsenen versuchen gemeinsam das destruktive, zerrstörerische Verhalten zu stoppen und zu verändern. Dies geschieht in kleinen Schritten.

Kannst du uns ein Beispiel nennen?
Das 12-jährige Pflegekind Olivia benimmt sich beim Morgenessen manchmal völlig daneben. Zum Beispiel, wenn ihr nicht zuerst geschöpft wird oder die Pflegemutter ihrem eigenem 3-jährigen Lausbub ein Brötchen streicht, beginnt sie aufzufallen. Zuerst leise mit einer giftigen Bemerkung zur falschen Marmelade auf dem Tisch, dann soll der Junge aufhören zu schreien und weil Olivia keine Resonanz bekommt, eskaliert die Situation. Olivia schimpft über die blöde Pflegefamilie, läuft ohne Essen in die Schule und alle wissen, wie der Tag verläuft.
Alle sind sich klar: Dieses Verhalten ist destruktiv und zerstörend. Olivia und die Pflegemutter kennen das Problem ihrer Traumen: sie wurde von ihrer drogensüchtigen Mutter, als sie zwei Jahre alt war, total vernachlässigt. Sie hatte viel geschrien, aber oft musste sie das Essen aus dem Abfallkübel holen. Die Wohnung war schmutzig etc. Sie wurde traumatisiert und hat dank ihrer Überlebensstrategien überlebt. Jetzt genügt schon ein Gefühl am Frühstückstisch, dass ihre Notstrategien völlig autonom in Gang kommen.

Was können die Pflegemutter, Olivia und eventuell andere Personen tun?
Als erster Schritt besprechen Pflegemutter und Olivia später den «Traumafilm», der bei Olivia abläuft. Sie bewerten Olivias Verhalten nicht, obwohl es beiden klar ist, dass dieses Verhalten nicht akzeptierbar ist. Sie würdigen, dass es Olivia als Zweijährige mit einer drogensüchtigen Mutter enorm schwierig hatte, dass sie viel allein war, viel traurig war etc.
Jetzt fragen sich die Pflegemutter und Olivia, wie heute der Persönlichkeitsanteil der zweijährigen Olivia versorgt und beruhigt werden kann, damit diese zweijährige Olivia-Persönlichkeit geheilt werden kann. Diese kleineren Handlungen müssen jetzt über eine längere Zeit sehr regelmässig durchgeführt werden, bis die heutige 12-jährige Olivia spürt, dass die Kleine in ihr in diesem Fall gut versorgt ist. Es geht in dieser Phase in erster Linie um eine bewusste «Nachversorgung» jüngerer, verletzter Anteile und um das Stoppen von destruktivem, disfunktionalem Verhalten.

Was ist speziell an H.O.R.T.?
Die Arbeit mit früh traumatisierten Kindern und Jugendlichen ist sehr komplex. Das von mir entwickelte Arbeitsmodell gibt einen guten Überblick über eine komplexe Situation und hilft sinnvolle Lösungen zu finden.
H.O.R.T. bezieht verschiedene pädagogische Ansätze ein, wie z.B. das ressourcenorientierte, lösungsorientierte, bindungsorientierte Modell von Marte Meo, die Biografiearbeit, die Psychodynamische Imaginative Traumatherapiearbeit von Luise Reddemann, sowie die von Peter Jacob weiterentwickelte Erziehungsmethode „Autorität ohne Gewalt“ (Haim Omer) zur gewaltfreien Erziehung. Diese Methode ist für mich ein wichtiger Schlüssel und eine Fundgrube um fürs Stoppen von destruktivem Verhalten würdevolle Möglichkeiten zu finden.

Worin unterscheidet sich H.O.R.T. von bekannten Modellen bzw. von der sozialpädagogischen Arbeit?
Das Modell rückt die Traumen der Kinder in den Fokus. Es soll Mut machen sich mit dem Thema zu konfrontieren und vertieft damit zu arbeiten. H.O.R.T. zeigt konstruktive Lösungsansätze auf.

Arbeitet tipiti nicht jetzt schon so ähnlich? Wenn nein, was fehlt?
Das Thema Trauma ist zwar schon lange präsent, aber es gibt dazu meiner Meinung nach noch viel zu tun. Wir dürfen nicht vergessen, dass das Bewusstsein über Traumen und deren Auswirkungen erst vor einigen Jahren in der Sozialpädagogik angekommen ist. Dringend gehört Traumapädagogik in die Ausbildung der Sozialpädagog/-innen.

Warum braucht es bei einer Therapie unbedingt den Bezug zum Körper des traumatisierten Kindes?
Bei Traumen ist immer der Körper miteinbezogen. Es ist heute erwiesen, dass Traumen nicht nur durch psychologische Abläufe gekennzeichnet sind, sondern eine klare neurobiologische Komponente aufweisen, die berücksichtigt werden muss. Die Therapie muss auf verschiedenen Ebenen ansetzen. Das übererregte Nervensystem muss beruhigt werden, Hirnregionen, die für unterschiedliche Funktionen, wie Regulation der Gefühle, Verstehen und vieles mehr zuständig sind, müssen neu verschaltet werden, so dass neues Verhalten zustande kommen kann. Ausserdem reagieren Stammhirn und Nervensystem gut über den Körper und über Bilder, kaum über Worte. Viele der Probleme sind in der frühen Kindheit entstanden, daher auch nur «vorverbal» zu behandeln. Da hilft Berührung und Körpertherapien wie z.B. die Craniossacrale Therapie oft mehr als Worte.

Was rätst du Betreuungspersonen?
Erziehungspersonen müssen lernen, sich selber gut zu versorgen, damit genügend Kraft, Geduld und Ausdauer für diese anspruchsvolle Arbeit vorhanden sind. Sie brauchen Hilfe und Unterstützung von verschiedenen Personen und Fachkräften, die über genügend Kenntnisse von Traumen und den Umgang damit verfügen.
Sie laufen Gefahr, sich zu überfordern, wenn sie sich allein an diese Aufgabe heranwagen. Es ist deshalb kein Zeichen von Schwäche, sich Hilfe zu holen. Unterstützernetze, die sowohl dem Kind wie den Erziehungspersonen wohlwollend, konstruktiv und gewaltfrei beistehen, sind im Gegenteil förderlich. Mitgefühl, Abgrenzungskraft, Führungsqualitäten und Kreativität sind notwendige Voraussetzungen im Umgang mit traumatisierten Kindern.

Die Betreuungspersonen müssen die Fähigkeit entwickeln, mit Verständnis auf die posttraumatischen Symptome des Kindes zu reagieren. Sie sollten in der Lage sein, ihre eigenen Reaktionen und Emotionen zu steuern. Sie müssen möglichst überlegt und gelassen handeln können. Emotionen wie Ärger, Wut und Ohnmacht sollten sie in angemessener Form ausdrücken und keine Angst vor der Wut des Kindes haben. Betreuer/-innen, Sozialpädagog/-nnen und Pflegeeltern müssen selber im Gleichgewicht sein und sich bewusst darum bemühen. Emotionale Balance und Mitgefühl sind wichtige Voraussetzungen.

Um mit traumatisierten Kindern zu arbeiten, braucht es eine sorgfältige Weiterbildung, welche, einerseits das Wissen über Psychotraumatologie und das Lernen von Techniken sowie Interventionsmöglichkeiten im Umgang mit den traumatisierten Kindern vermittelt. Anderseits, da das Hauptarbeitsmittel die Beziehung ist, braucht es eine intensive Persönlichkeitsschulung, in der die Betreuer/-innen ihre emotionale Balance lernen und zum Selbstmitgefühl und Mitgefühl geführt werden. Eine wichtige Erfahrung dabei ist auch der Umgang und Heilung der eigenen Traumen.