Aus den tipiti-Schulen
Mirandas Weg

Stephan Herzer, Bereichsleiter Förderräume und Leiter Lernhaus Wil, im Gespräch mit einer gar nicht so ehemaligen Lernenden
Miranda hat vom Sommer 2016 bis 2018 zwei Jahre der Oberstufe am Lernhaus Wil gelernt. Miranda heisst eigentlich anders, ihren Namen wie auch ihr Bild möchte sie nicht veröffentlicht sehen. Aus Gründen. Das Leben ist bisweilen schwierig und um daran zu wachsen, bedarf es eines gesunden Willens, sich auf Herausforderungen einzulassen, manchmal aber auch der Abgrenzung. Auf jeden Fall hilft es, wenn man Unterstützung hat. Mirandas Weg hat sie auch nach Abschluss ihrer Schulzeit immer wieder ans Lernhaus geführt. Sie hat am Programm der sozialpädagogischen und schulischen Nachbetreuung teilgenommen. Ich spreche mit ihr über Vergangenheit und Zukunft und wie aus dem einen das andere werden kann.
Lass uns von vorne beginnen. Wie bist du damals zu uns gestossen und was hast du an den ersten Tagen erlebt.
Miranda: Ich erinnere mich noch gut, es war 2016, als ich in die zweite Oberstufe kam. Das erste Oberstufenjahr verbrachte ich in einem Schulheim, die beiden letzten Jahre meiner Zeit an der Volksschule dann im tipiti Lernhaus Wil. Die ersten Eindrücke waren fast etwas überfordernd. Sehr vieles war neu und ungewohnt und ich war an jenem Punkt nicht unbedingt sehr auf Kooperation eingestellt. Aber genau diese ersten Eindrücke haben sich schnell in eine spannende Zeit verwandelt, in der ich fachlich und persönlich viel gelernt habe.
Wie hast du die ersten Schuljahre erlebt? Was ist dir besonders in Erinnerung geblieben?
Am meisten haben mir die gemeinsamen Aktivitäten gefallen, vor allem das Kochen für die Klasse. Wir waren immer in kleinen Gruppen – meistens zwei Schülerinnen oder Schüler mit einer Lehrperson. Beim Kochen konnten wir unserer Kreativität freien Lauf lassen und lernten gleichzeitig, wie man organisiert und strukturiert arbeitet. Es war eine Zeit, in der Spass und Lernen perfekt miteinander verschmolzen. Ich erinnere mich auch, wie wir Pläne schmiedeten und uns gegenseitig halfen, wenn jemand mal überfordert war.
Gab es auch Momente, in denen Herausforderungen deutlich wurden?
Ja, definitiv. Eine der grössten war der Umgang mit den unterschiedlichen Persönlichkeiten der Mitschüler. Jeder brachte seine eigene Geschichte und Eigenart mit. Manchmal war es nicht so einfach, den richtigen Ton zu finden und gemeinsam an Projekten zu arbeiten. Aber gerade diese Vielfalt hat uns auch gelehrt, wie wichtig Kommunikation und gegenseitiger Respekt sind – etwas, das mir bis heute viel bedeutet.
Wie hat sich dein Weg nach der Schule weiterentwickelt?
Nach meinem Abschluss habe ich ein Praktikum in einem lebensmitteltechnologischen Labor absolviert. Obwohl ich schon immer von einem Praktikumsplatz in einer Tierarztpraxis geträumt hatte, führte mich mein Weg zunächst in diese andere Richtung. Lehrstellen als TPA sind rar und gesucht. Als Absolventin einer Sonderschule durfte ich mir nicht die besten Chancen ausrechnen. Nach einigen Monaten im Labor und sehr vielen Bewerbungen, die ich mit Damaris rausschickte, bekam ich dann aber die Gelegenheit, in eine Tierarztpraxis zu wechseln. Dort konnte ich anderthalb Jahre lang praktische Erfahrungen sammeln und den Grundstein für meine Ausbildung zur tiermedizinischen Praxisassistentin legen. Dieser Wechsel war für mich ein grosser Schritt in Richtung meines lang gehegten Traums.
Wie ist das, wenn man einen Traum verwirklicht?
Es war ein intensives Gefühl. Schon während der Schulzeit hatte ich davon geträumt, in der Tiermedizin zu arbeiten. Als sich dann diese Möglichkeit ergab, war die Freude riesig, aber gleichzeitig mischten sich auch Ängste und Zweifel ein. Von aussen gab es viele Stimmen, die daran zweifelten, dass ich das wirklich schaffen könnte – dass ich den schulischen Anforderungen gerecht werden würde. Aber was mir half, diese Zweifel zu überwinden, war die stabile Unterstützung, die ich von meinem schulischen Umfeld erhielt.
Erzähl uns mehr über diese Unterstützung. Wie sah sie konkret aus?
Das Besondere an der schulischen Begleitung war, dass ich nicht nur schulische Nachhilfe bekam, sondern auch eine feste Ansprechpartnerin, an die ich mich in Krisenzeiten wenden konnte. Mal brauchte ich das eine, mal das andere. Oft halfen mir nicht die direkte Lösung, sondern neue Ideen und strukturierte Herangehensweisen, wie ich mit Herausforderungen umgehen kann.
Du sprichst von den beiden Standbeinen der Nachbetreuung, der schulischen und der sozialpädagogischen.
Richtig. Für die Angelegenheiten des Lernens kam ich ja zu dir und Damaris war immer da, wenn ich einen guten Rat im Leben brauchte. Wenn ich nicht wusste, wie ich ein Thema angehen sollte, war diese doppelte Unterstützung Gold wert. Diese kontinuierliche Begleitung gab mir das Gefühl, nie allein zu sein – egal, ob es um fachliche Fragen oder persönliche Herausforderungen ging.
Was machst du heute, nachdem du diesen Weg erfolgreich beschritten hast?
Mein Traum ist mit mir gewachsen. Ich möchte Tiermedizin studieren. Darum habe ich einen neuen Schritt gewagt und mit der Erwachsenen-Matura begonnen, um später an die Hochschule zugelassen zu werden. Der Weg bleibt anspruchsvoll, doch ich weiss, dass ich durch die intensive Unterstützung und die positive Lernumgebung bestens vorbereitet bin. Ich setze weiterhin auf Nachhilfe und individuelle Förderung – gerade in Fächern wie Mathematik, wo es gelegentlich noch Fragen gibt. Ausserdem bin ich sehr froh, dass tipiti mir geholfen hat, mit der Stiftung Bildungschancen eine weitere Unterstützerin ins Boot zu holen, weil mein Plan auch finanziell eine grosse Herausforderung darstellt.
Es ist beeindruckend, welchen Ehrgeiz du trotz aller Herausforderungen entwickelt hast. Ich habe ja gesehen, wieviel Arbeit du in deinen Weg gesteckt hast. Was würdest du anderen in ähnlichen Situationen raten?
Ich würde sagen: Nutzt jede Gelegenheit, um euch Unterstützung zu holen. Gemeinsam ist auf jeden Fall mehr zu schaffen, als wenn man alleine ist.
Gibt es etwas, das du uns als Organisation, die wir ja auch weiterwachsen und lernen wollen, noch mit auf den Weg geben könntest?
Ja! Ich bin unendlich dankbar für eure so intensive Unterstützung auch nach meinem Abschluss. Das ist wirklich aussergewöhnlich und sollte auch in Zukunft weitergeführt und sogar ausgebaut werden. Ich hoffe, dass noch viele andere Schülerinnen und Schüler von diesem Angebot profitieren können, denn es kann den entscheidenden Unterschied machen.
Aus dem tipiti-Jahrzeitenhaus

Von Ottilio Fischotter
Ich gehe schon das zweite Jahr hier zur Schule. Erinnert ihr euch an mich? Als Handpuppe, Freund und Seelentröster, aber auch als Lausbube, Mitschüler und Hilfslehrer bin ich schulbekannt. Wie letztes Jahr berichte ich euch auch diesmal von unserer Schule. Das tipiti-Jahrzeitenhaus ist nämlich gewachsen. Seit dem Schuljahr 2024/25 sind es zwei Lernhäuser. Zur Villa Rosa an der Winkelriedstrasse 34 mit drei Lerngruppen à sechs Kindern kam an der Rechenstrasse 5e der Satellit mit weiteren sieben Kindern dazu.
Neue Tagesbetreuung
Noch wichtiger für das persönliche Wachstum der Schüler ist die schulergänzende Tagesbetreuung, die sie eingeführt haben. Sie heisst «Jahrzeitenclub». Zu meiner Freude kommen die ersten Schüler schon morgens um sieben Uhr in den Club und starten den Tag mit mir bei einem gesunden Frühstück. Dann spielen wir miteinander, bevor die Schule losgeht und wir arbeiten. Der Jahrzeitenclub geht nach der Schule weiter; einige Schüler bleiben und spielen mit mir – bis um sechs Uhr. Und das Beste ist: Auch meine einsame Ferienzeit hat sich verkürzt; der Jahrzeitenclub ist jetzt auch während acht Schulferienwochen geöffnet! Krass, nicht?
Eine coole Truppe mit Ideen und Spielenergie
Ihr könnt euch vorstellen, dass wir in den Clubzeiten allerhand Lustiges erleben. Während der Herbstferien haben wir im Garten ein Tipi zu bauen begonnen. Manchmal machen wir ein Feuer oder verbauen alle Kappla, die wir haben (so Bauklötze, weisch). Einige meiner Schülerfreunde waren nach den Jahrzeitenclub-Herbstferien viel relaxter in der Schule. Schon wahr, manchmal haben wir Streit. Aber dann ist immer eine erwachsene Person da, die hilft, uns wieder zu finden. Im Grunde sind wir nämlich eine coole Truppe mit vielen Ideen und Spielenergie. Die Lehrpersonen würden jetzt sagen: Eben dazu sind wir im Jahrzeitenhaus: Um miteinander zu wachsen und im gemeinsamen Spiel soziale Kompetenzen zu lernen.
Erstes Fazit vom Otter
Nach den Herbstferien schien mir, viele Schülerkollegen fänden ihren Weg in den schulischen Alltag besser als auch schon. Der Übergang vom Jahrzeitenclub war fliessend; mein Schülerfreund jedenfalls konnte die gute Stimmung in den Unterricht mitnehmen. Auch manche Situation zuhause in der Familie war entspannter. Die Lehrpersonen und ich finden, die Ferienwochen seien ein Gewinn und ermöglichten Lernzuwachs. Jetzt freue ich mich auf die Clubferien im Frühling.
Der neue «Jahrzeitenclub» im tipiti-Jahrzeitenhaus St. Gallen
Wie vom Kanton St. Gallen angeregt, bietet unsere Tagessonderschule neu ein ausserschulisches Betreuungsangebot von morgens um 7.00 Uhr bis abends um 18.00 Uhr an, fünf Tage die Schulwoche. Ebenfalls gehören acht betreute Ferienwochen zu unserer «Betreuung PLUS». Unsere Lernhäuser sind also ausser in den drei mittleren Sommerferienwochen und über Weihnachten/Neujahr immer geöffnet.
Ein aufgestelltes Betreuungsteam leitet die Freizeitaktivitäten rund um den «Jahrzeitenclub» in der Villa Rosa und dem Satelliten. Viele unserer Schüler nutzen etliche Betreuungsslots. Die Ferienbetreuung und Freizeitnachmittage ermöglichen es unseren Schülern, zusätzliche sozio-emotionale Erfahrungen zu machen und im bekannten Umfeld, angeleitet durch vertraute Bezugspersonen, wichtige Lernschritte zu erreichen. Der Jahrzeitenclub hilft vielen Schülern, sich im freien Spiel zu entwickeln und Freundschaften im Geschützten Rahmen zu pflegen. Dies wirkt sich positiv auf das Lernen im schulischen Unterricht und das persönliche Wachstum aus. (ms)