Das Lern- und Begegnungszentrum LBZ

Ein Porträt über den 21jährigen Sajjad: «Meine Familie gibt mir die Kraft, nach vorne zu blicken.»
Von Simone Thoma, Co-Leiterin des tipiti Lern- und Begegnungszentrum St. Gallen
Sajjad folgte seinem Bauchgefühl auf der Suche nach einem besseren Leben, neuen Perspektiven und Chancen in Europa. Mit 14 Jahren verliess er den Iran und gelangte mit Hilfe von Schleppern über Griechenland in die Schweiz – als unbegleiteter minderjähriger Geflüchteter oder kurz: als MNA. Seine Familie stammt aus Afghanistan. Aufgrund der instabilen Lage im Herkunftsland leben seine Eltern und drei Geschwister bereits seit mehreren Jahren im Iran. Sajjad erklärt dazu: «Die fehlenden Zukunftsaussichten haben mich dazu bewogen, den Iran und meine Familie zu verlassen.»
Zuerst Gastfamilie, dann WG
Im Januar 2020 stellte Sajjad in der Schweiz einen Asylantrag und wurde dem Kanton Appenzell Ausserrhoden als MNA zugewiesen. Der Verein tipiti übernahm daraufhin seine Begleitung im Rahmen einer Leistungsvereinbarung mit dem Kanton. Die Mitarbeitenden des Bereichs «Jugendliche und junge Erwachsene» von tipiti begleiten die MNA, unterstützen ihre schulische Ausbildung und fördern ihre persönliche Entwicklung. Die Jugendlichen leben in Pflege- oder Gastfamilien, wodurch ihre Integration und der Spracherwerb erleichtert werden. Auch Sajjad fand zunächst in einer Pflegefamilie von tipiti ein Zuhause. Seit Oktober 2024 wohnt er mit einem befreundeten Afghanen und dessen Bruder in einer Wohngemeinschaft. Aktuell absolviert er eine Ausbildung zum Automobilfachmann EBA.
Neuanfang in der Schweiz
Die ersten Jahre in der Schweiz waren für Sajjad herausfordernd. Seit seiner Ankunft leidet er unter depressiven Verstimmungen, die auf Traumatisierungen zurückzuführen sind. Die neue Sprache, das Ankommen in einer fremden Kultur und der Weg ins Erwachsenenleben stellten ihn vor grosse Herausforderungen. Der Einstieg in die Ausbildung fiel ihm schwer. Häufiges Fehlen und ungenügende Leistungen brachten seine berufliche Zukunft zeitweise in Gefahr.
Das Netzwerk und der Gedanke an die Familie helfen
In schwierigen Zeiten fühlte sich Sajjad oft allein. Doch sein Netzwerk aus Freunden, seiner Pflegefamilie, seinem Arbeitgeber, den Bezugspersonen von tipiti und seiner Therapeutin gab ihm Halt. «Es hilft mir zu wissen, dass Menschen für mich da sind und mich unterstützen», sagt er. Besonders gross ist seine Verantwortung gegenüber seiner Familie. Dieser Gedanke treibt ihn an, immer wieder aufzustehen und nach vorne zu blicken. Mit der Unterstützung seines Umfelds und einer positiven Einstellung gelang Sajjad ein Richtungswechsel. Im Sommer 2025 wird er seine EBA-Ausbildung abschliessen und hat die Möglichkeit, die EFZ-Ausbildung im selben Betrieb fortzusetzen. Er hat sich zu einem engagierten, kompetenten und geschätzten Mitarbeiter entwickelt.
Vertrauen gelernt
Trotz aller Stolpersteine hat Sajjad in den vergangenen Jahren einen beeindruckenden Weg zurückgelegt. Seine Erfahrungen geben ihm Zuversicht, auch zukünftige Herausforderungen mit der Unterstützung seines Netzwerks und der Erinnerung an seine Familie zu bewältigen. Sajjad sagt es so: «Ich habe gelernt, mir und anderen zu vertrauen und Hilfe anzunehmen.» Wir wünschen ihm weiterhin viel Erfolg. Er wird seinen Weg mit Mut und Entschlossenheit weitergehen.