Aus den tipiti-Schulen

Das tipiti-Lernhaus Wil erhält Preis des LCH

LCH Preis für Lernhaus Wil

Von Stephan Herzer, Schulleiter und neuer Bereichsleiter Förderangebote

Im November gewann das tipiti Lernhaus Wil den national bedeutenden Richard-Beglinger-Preis des Dachverbandes Lehrer·innen Schweiz (LCH). Insbesondere das Konzept der Nachschulischen Betreuung gab den Ausschlag für diesen Erfolg.

Mit dem Preisgeld von 8000 Franken will das Lernhaus einen Input aus dem tipiti-Zukunftstag 2022 aufnehmen, sein Angebot erweitern und sich als lokales Kompetenzzentrum für nachschulische Betreuung positionieren. Derzeit erstellen wir ein Wirkungsmodell mit dem Ziel, den Benefit auf weitere Mesosysteme wie Familie, Kollegenkreis oder Mit-Lehrlinge auszudehnen.

Die Umgebung gestalten – eine ständige Aufgabe

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Von Schulleiterin Eva Graf Poznicek

Im Schulzimmer der 'Klasse Nord', einer von neun Klassen der tipiti-Schule im BAZ, sitzen zehn unbegleitete minderjährige Asylsuchende im Stuhlkreis und repetieren die neuen Wörter. Bis im November gingen hier Kindergarten- und Primarschulkinder zur Schule. Die kleinen Hausschuhe, die Legos und niedrigen Stühle verräumten die Lehrerinnen Pele Mathys und Annette Wirth erst im Dezember. Und wohl wird bald wieder umgestellt, werden die Hausschuhe, Legos und Bauklötze erneut ausgepackt und aus der Oberstufenklasse wird wieder eine solche für jüngere Kinder.

Dieser 'Umbau' ist der Unplanbarkeit bei den Asylgesuchszahlen in der Schweiz geschuldet. Und dem Auftrag des Kantons St.Gallen an tipiti, eine Schule für all jene Kinder und Jugendlichen zu machen, die in Altstätten auf die Bearbeitung ihres Asylgesuchs warten. Mal sind es jüngere, mal ältere. Unabhängig ihres Alters: In die Schule kommen sie alle gerne! Sie erleben hier ein Stück Normalität und ein Gegenüber, das ihnen Sicherheit, Struktur und Beziehung bietet.

Im Sommer und im Herbst kommen deutlich mehr Asylsuchende in die Schweiz als in der kalten Jahreszeit. Das BAZ in Altstätten hat Platz für maximal 340 Gesuchsstellende. Sind es mehr, erfolgen Verlegungen in andere, meist provisorische Zentren. Seit Mitte Dezember ist das Haus in Rehetobel, wo tipiti die ukrainischen Pflegefamilien untergebracht hatte, ein solcher 'Ableger'. Dort warten jetzt zahlreiche Familien auf ihren Asylentscheid und die Kinder besuchen die neu eröffnete BAZ-Schule in Heiden.

Mit dem Staatssekretariat für Migration prüfen wir in Altstätten monatlich die Klassenumstellung und beraten, ob in zehn Tagen wieder eine Kindergarten-Primarschulklasse geführt werden soll. Den Lehrerinnen Annette und Pele mit ihren Assistentinnen Rahel und Lara bleiben dann zehn Tage Zeit, um ihr Klassenzimmer wieder umzubauen.

Die Umgebung gestalten in dieser Schule – eine ständige Aufgabe! Das BAZ folgt nicht dem Schuljahreskalender. Fluchtbewegungen sind nicht planbar. Sicher ist: Jeden Montag kommen all jene Schulpflichtigen neu in die Schule, die in der vergangenen Woche ein Asylgesuch stellten. Agilität und Flexibilität sind bei allen Beteiligten gefordert. Nicht die Klassenplanung ist entscheidend dafür, wie die Schule aussieht, die Kinder sind es, die in der Schweiz Schutz finden und um Asyl ersuchen.

«Ich fühle mich wohler, weil es nicht so 'basic' ist.»

Schule Tuermlihaus tipiti

Von Schulleiterin Natalie Niggli

«Sie, Frau Niggli, im WC hat jemand WC-Papier herumgeschmissen.» «Sie, Herr Koller, das WC wurde verstopft.» «Sie Herr Schwizer, der Seifenspender wurde zerstochen, die Seife fliesst raus.» Mitteilungen wie diese wurden über längere Zeit an uns Lehrpersonen herangetragen. Wir thematisierten die Problematik mit den Toilettenräumen der Oberstufe immer wieder aufs Neue. Lernende und Lehrpersonen schienen sich einig, dass man ordentliche und saubere Toiletten bevorzugt und wir uns wünschten, dass der Vandalismus aufhört. Leider hatten unsere Bemühungen lange Zeit nicht die erhoffte Wirkung.

Dann hatten wir die zündende Idee. In der Brockenstube fanden wir zwei hübsche Kommoden und Bilderrahmen. Die Kommoden wurden von Lernenden abgeschliffen und lackiert. Wir klebten LOA-Zitate (LOA: Lösungsorientierter Ansatz) auf die Kacheln. Die Lernenden kreierten im Fach 'Gestalten' Bilder, die dem Raum eine persönliche Note verleihen. Unsere Toilettenräume verwandelten sich in heimelige, persönlich gestaltete Räume. Und siehe da: Der Vandalismus, der uns lange auf Trab gehalten hatte, fand ein Ende!

Wie finden das unsere Lernenden?

Lucas meint: «Alle gehen jetzt besser mit den Toiletten um, es ist nicht mehr so dreckig wie früher. Ich fühle mich wohler, weil es nicht so 'basic' ist, sondern bunt: Rechts sehe ich Texte, links sehe ich Bilder – es gibt mehr Farbe als früher.»

Ryan findet: «Es hat sich verbessert. Man hinterlässt das WC so, wie man es angetroffen hat. Wenn etwas schmutzig ist von jemandem vorher, dann putzt man es halt auch. Früher wurden im WC auch Sachen angezündet, das ist jetzt nicht mehr passiert.»

Nathalia schreibt: «Es ist viel angenehmer, aufs WC zu gehen, man fühlt sich mega wohl. Wenn einem langweilig ist, kann man die Sätze lesen. Die Bilder, die die Schüler·innen selbst gemacht haben, finde ich auch cool. Man schaut viel mehr drauf, dass es sauber bleibt.»

Ena denkt: «Die Ordnung ist besser als früher, man fühlt sich wohler in den Toiletten. Es wäre schön, wenn es Fenster gäbe. Ich finde es schön gestaltet und bunt. Ich hoffe, dass es so bleiben wird.»

Mara notiert: «Die Räume sind besser dekoriert, es gehen weniger Sachen kaputt. Man respektiert es besser, wenn es aufgeräumt ist. Man hätte sonst ein schlechtes Gewissen.»

Mia führt an: «Es ist nicht mehr so kahl und langweilig. Man fühlt sich nicht mehr so fremd, als ob man in einem öffentlichen WC wäre.»

Altehrwürdiges Gebäude mit vielen Nischen

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Von Co-Schulleiterin Martina Spiess

Mein Name ist Ottilio Fischotter. Ich bin eine Handpuppe, ein Seelentröster, Freund, Mitschüler, Lausbube, Mutmacher, Hilfslehrer und vieles mehr. Ich gehe in St. Gallen in die Schule. In eine spezielle Schule. Meine Mutter wusste lange nicht so recht, wie sie mich in meinem Lernen unterstützen könnte. Die normale Schule war mir zu gross, der Pausenplatz zu riesig, und immer wieder verstrickte ich mich in Probleme.

Eines Tages traf meine Mama eine Frau, die ihr vom Jahrzeitenhaus in St. Gallen erzählte. So kam ich in die Schule, die mich sofort an ‚Hogwarts‘ erinnerte. Hogwarts kennt ihr sicher, das ist die berühmte Zaubererschule mit vielen Gängen und Nischen. In genau so einem altehrwürdigen Gebäude liegt meine Schule. Auf dem Dach wachen die Statuen der vier Jahreszeiten und im Haus unterstützen erwachsene Personen das Lernen von achtzehn besonderen Kindern, die mir alle ans Herz gewachsen sind. Jedes Kind hat ein eigenes Lernbüro. Einige haben es ganz speziell für sich gestaltet. Ein Kind zum Beispiel lernt eher in einer Burg als in einem Büro. Eben ganz so, dass es jedem und jeder wohl ist und er·sie sich sicher fühlt.

Neben den Lernbüros gibt es gemütliche Tische, um gemeinsam zu spielen. Hier habe ich gelernt, dass es normal ist, wenn man ab und zu verliert. Jetzt übe ich herauszufinden, wo ich mich zurückziehen kann, wenn ich trotzdem einmal sehr wütend werde. Manchmal verkrieche ich mich in der Höhle oder möchte im Türmli allein sein. Oder es hilft nur noch der Garten, wohin ich mich zurückziehen kann. Ich weiss, meine Mama freut sich, wenn ich am Ende des Tages dennoch wieder zum Lernen und zu meiner Ruhe zurückfinde. Und ich bin dann wohl am meisten stolz darauf.

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