Entwicklungsfördernde Lebensräume für Pflegekinder
Räume und tragfähige Netzwerke gestalten
Von Jana Lindner, Fachberaterin Pflegefamilien
Ein Teil des tipiti-Fraktals* beinhaltet das Thema 'Gestaltete Umgebung'. So legten wir den Fokus auf die Frage: Wo gestalten wir innen wie aussen lebenswerte Räume, so dass sich Pflegeeltern und Pflegekinder optimal entfalten können?
Das Helfernetz rund um Pflegefamilien stärken.
Im Bereich Pflegekinder sind unsere Fachberatenden derzeit damit konfrontiert, dass Pflegefamilien Entlastung brauchen – aufgrund von Krankheiten in der eigenen Familie, Krisen in der Pubertät oder schulischen Belastungen, die den Alltag aufwühlen. Hier zeigt sich, wie sinnvoll eine frühzeitig aufgegleiste Kontaktfamilie sowie der Aufbau eines Helfernetzes ist, damit diese in herausfordernden Situationen unterstützend greifen. Ein intensiver Austausch, Stärkung und Schulung des Helfernetzes, zu dem auch Schulen, Kitas, Horte, Internate, Nachbarn, Pflege-Grosseltern, Tanten, Onkel, Freunde usw. zählen, spielen eine grosse Rolle. Hier zeigt sich, ob wir bereits eine tragfähige Beziehungsarbeit in ruhigen Situationen geleistet haben. Kreatives Denken, gemeinsames Mittragen, Selbstfürsorge und immer wieder gegenseitige Wertschätzung sind in solchen Situationen tragende Elemente.
Raumgestaltung prägt Kultur.
Auch bei unseren tipiti-Familienangeboten für Kinder in Wil legen wir viel Wert auf schöne Räume, Gastfreundschaft und eine Willkommenskultur. Mit Kaffee, Schokolade, manchmal Gipfeli, einem Blumenstrauss auf dem Tisch und freundlichen Gesichtern werden bei uns Gäste empfangen. Wir teilen unsere Räume auch zum Beispiel mit Privatlehrpersonen eines Pflegekindes für den Unterricht oder mit Pflegeeltern bei unbegleiteten Besuchen, wenn besipielsweise das Wetter schlecht ist. Wir veranstalten hier zudem Weiterbildungen, tauschen uns mit ukrainischen NGOs aus, begleiten Besuche, führen fröhliche und traurige oder einfach nur sachliche Gespräche. Es lebt – auch weil unsere schönen Räume dies zulassen.
Ein Freudenmoment: Die Eltern eines Pflegekindes wünschten sich, neben den begleiteten Besuchstagen einmalig einen ganzen Tag und eine Nacht mit ihrem Kind verbringen zu dürfen. Wir reservierten ein Pfadiheim. Die Fachberaterin begleitet den Besuch. Der Vorstand des Pfadiheims erkundigte sich über tipiti und war begeistert. Er beschloss, uns den Betrag der Reservation zu erlassen.
Mit Menschen und Tieren leben und lernen
Von Ursula Brunner, Fachberaterin Pflegefamilien
Als ich zum ersten Mal von diesem Teil des Fraktals* hörte, kam mir sofort die Umgebung einer 'meiner' Pflegefamilien in den Sinn, die ich als Fachberaterin betreue. Gerne nehme ich Sie mit auf eine Reise zu einem Riegelhaus in einem kleinen Thurgauer Dorf. Verschiedene kleine 'Trottis' stehen vor dem Haus. Aus dem zur rechten Seite angebauten Stall kommen Finn und Diego, zwei pechschwarze Ochsen, neugierig heraus ins Aussengehege. Zu ihnen gesellen sich zwei Ziegen und zwei Minischweine.
Prinzessin, Froschkönigin und viele Tiere
Es ist Fastnachtszeit und beim Betreten des gemütlichen Hauses begrüssen mich die beiden Pflegekinder der Familie S., die fünfjährige Prinzessin Anna und die siebenjährige Froschkönigin Antonia, die sich gleich auf den Weg in die Dorfschule macht. Drei Hunde verschwinden nach einer gebührenden Begrüssung auf ihre vorgesehenen Plätze. Einzig die Katze schert sich nicht darum, wo sie eigentlich hingehört, und fordert angemessene Streicheleinheiten ein. Während des Gesprächs am grossen Stubentisch blubbert das Aquarium mit den vielen bunten Fischen hinter mir und beim Blick aus dem Fenster kann man das Aussengehege mit den sechzehn Hühnern erahnen. Sie sind die einzigen 'Arbeiter' der Tierschar, die zur Pflegefamilie gehört. Auch sie geniessen das Privileg, nicht als Suppenhühner geendet zu haben, sondern einfach noch soviel leisten zu dürfen, wie sie können.
Mit Tieren leben und lernen
Anna, die Prinzessin, erzählt am Tisch, wer nebst diesen Tieren noch zur Familie gehört: Drei Pferde und ein Pony sind in einem Freilaufstall untergebracht. Auf ihnen darf sie jeweils reiten. Oder, fast gleich wichtig, mit dem eigenen 'Pferdeschüfeli' beim Ausmisten helfen. Sie darf auch dabei sein, wenn Finn und Diego zu den Rindern auf die Weide einer Nachbarsbäuerin gebracht werden. Dort dürfen die beiden Kinder mit den Kälbchen um die Wette tollen. Erst kürzlich war Anna dabei, als ein Kälbchen zur Welt kam. Zusammen mit ihrer Pflegeschwester durfte sie das Neugeborene mit Stroh abreiben und auf der Welt willkommen heissen. Zwei grosse Schweine gehören auch noch zur Familie. Sie wurden ebenfalls nicht geschlachtet, sondern dürfen ihr Leben geniessen. Im Stall gibt es aber auch die anderen Schweine der Bäuerin, die als Ferkel kommen und irgendwann zum Schlachthof gehen. Sie können sich vorstellen, dass dies Diskussionen auslöst darüber, wie Tiere leben, wie wir mit ihnen umgehen oder umgehen sollen! Die beiden Mädchen wissen, woher das Fleisch kommt, das sie ab und zu gerne essen.
Mich beeindruckt, wie viel Raum es hier für die Pflegeschwestern gibt, drinnen und draussen. In diesen sorgfältig gestalteten Räumen können sich die Tiere und Menschen bewegen, wohlfühlen und einander begegnen. Es gibt hier viel zu lernen über den respektvollen Umgang miteinander oder über das Leben von seiner Entstehung bis zum Tod. Und eine solche Umgebung bietet Gelegenheit für viele freudige Erlebnisse. In dieser sorgfältig gestalteten Umgebung dürfen Anna und Antonia bei ihren Pflegeeltern aufwachsen!
*Unter dem ‘Fraktal’ verstehen wir eine Art Leitwerte für die Tätigkeit des Vereins tipiti. Es besteht aus vier Elementen: respektvoller Umgang, persönliches Wachstum, gestaltete Umgebung und ins Gelingen verliebt sein.
Engagement in der 'DAF Ost'
Vor einiger Zeit beschlossen sieben Dienstleistungsanbieter in der Familienpflege (DAFs) aus der Ostschweiz sich unter dem Namen 'DAF Ost' regelmässig zu treffen, auszutauschen, kreativ und konstruktiv zu handeln und vor allem eine gemeinsame Haltung zu entwickeln. So haben die DAFs ein Besuchsreglement entwickelt, das für die KESB und die Beistandschaft als wohlwollende Arbeitsgrundlage für eine gute Zusammenarbeit mit den DAFs dient. Die DAFs tauschen sich über Sorgen und Freuden rund um Platzierungen aus und entwickeln gemeinsame Herangehensweisen. Mit der Orientierung am gemeinsamen Ziel: Kindern ein zufriedenes Zuhause zu bieten. (jl)