Weniger Wechsel wären möglich und nötig
Peter Lobsiger (52) war zuerst Schreiner und bildete sich als Dreissigjähriger zum Sozialpädagogen aus. Seit acht Jahren arbeitet der dreifache Familienvater als Fachberater bei tipiti. Er beobachtet mit Sorge die teils häufigen Wechsel der Beistandschaften und findet, hier brauche es strukturelle Veränderung.
Patrizia Zürcher hat ihrem Kollegen die Fragen für dieses Porträt gestellt
Vor tipiti arbeitete ich als Sozialpädagoge in einem Kinder- und Jugendheimheim. Aus dem privaten Umfeld nahmen wir damals zwei Pflegekinder auf, notfallmässig und auf Wunsch deren Eltern. Dass es so etwas wie tipiti als Begleitorganisation gab, wussten wir noch nicht. Doch der Beistand der beiden Kinder arbeitete schon mit tipiti zusammen und wünschte eine Begleitung des Pflegeverhältnisses durch sie. So wurden wir eine tipiti Pflegefamilie. Die damaligen Fachberaterinnen Monika Stillhart und Maya Meili besuchten uns, und schnell entstand Vertrauen. Maya begleitete uns dann in unserer neuen Aufgabe.
Vom temporären Pflegevater zum Fachberater bei tipiti
Nach einem Jahr wurden die Kinder zu den Eltern rückplatziert, wie schon bei der Platzierung geplant und kommuniziert. tipiti warf die Frage auf, ob wir weiterhin Pflegekinder aufnähmen. Unsere drei leiblichen Kinder waren jedoch zu der Zeit in einem Alter, wo sie uns Eltern noch stark brauchten. Auch hatten sie während des Jahres mit ihren beiden Pflege-Geschwistern erfahren, welche Geschichten und Themen so in unsere Familie kamen. Wir konnten uns dannzumal nicht vorstellen, diese längerfristig im Familienalltag zu tragen. Das tipiti-Team suchte aber zu der Zeit gerade einen Fachberater als Ergänzung des Frauenteams. Die damalige Leiterin bot mir einen Job an, den ich gerne annahm, bot er mir doch einen planbaren und harmonischen Übergang mit Kündigungszeit und Neuanfang.
Übergänge verlaufen in drei Phasen
Übergänge sind in der Arbeit als Fachberater ein zentrales Thema und kommen täglich vor. Ich könnte darüber ein Buch schreiben. Sie laufen in drei Phasen ab: Die Vorbereitung, der Übergang selber und das Sich-Einleben im Neuen. Bei meinem Stellenwechsel vom stationären Rahmen im Kinderheim zum ambulaten Setting bei tipiti dauerte dies einige Monate. Hier war ich mit ganz neuen Fragestellungen konfrontiert, ohne den Rahmen einer Institution. Bei tipiti komme ich mit extrem betroffenen Menschen in Notsituationen zusammen, verzweifelten Eltern, Druck von Herkunftssystemen usw. Für solche Situationen Worte zu finden und sie auszuhalten, waren für mich grosse Lernfelder.
Einstieg in meine neue Arbeitswelt
Da ich Beziehungen gerne mag, fiel mir das Kennenlernen der Kinder und Pflegeeltern leicht. Die begleiteten Besuche zwischen den Kindern und ihren Herkunftsfamilien bleiben anspruchsvoll. Ich suche Pflegefamilien auf, begleite Besuche und nehme an Standortgesprächen teil – oft am selben Tag. So gehe ich von einer Welt in die andere. Unsere Arbeit bietet viel Abwechslung und ist geprägt von Übergängen. Sie fordert auch heraus. Wir haben im Team zum Glück eine Kultur der Wertschätzung, der Unterstützung und des offenen Austausches. Ich begleite zehn Kinder und Jugendliche, die ihren Lebensmittelpunkt in einer Pflegefamilie haben. Fünf Kinder haben seit Jahren den gleichen Beistand, die gleiche Beiständin. Bei den anderen wechselten sie innert acht Jahren drei bis fünf Mal. Beiständ*innen sind Auftraggebende und Entscheidungsträger; eine gute Zusammenarbeit mit ihnen liegt mir am Herzen. Je mehr Wechsel ich erlebte, desto mehr Sicherheit gewann ich, sodass sie heute weniger Unbehagen auslösen als zu Beginn. Die Sorge bleibt, dass bei Wechseln einfach Akten übergeben werden und keine wirkliche Übergabe erfolgt. Dann kann es sein, dass plötzlich alte Themen wie Besuchssituationen mit Eltern oder Rückplatzierungen wieder neu aufs Tapet kommen. Das ist für das gesamte System eine Herausforderung. Ich suche jeweils sofort die Zusammenarbeit und versuche, Vertrauen aufzubauen.
Warum so viele Beistandswechsel?
Wechsel und Übergänge gehören zum Leben, auch für Pflegekinder. Es fällt auf, dass es bei einigen Berufsbeistandschaften häufige Wechsel gibt und bei anderen Stellen kaum. Meine Hypothese ist, dass dies mit der Kultur der Fachstelle zusammenhängt und auch damit, dass Beistände sehr viele Fälle zu bearbeiten haben und extrem gefordert sind. Hinzu kommt, dass gerade leibliche Eltern häufig umziehen, was manchmal zu Beiständswechseln führt. Die häufigen Wechsel bringen viel Unruhe und wenig Konstanz. Und es geht viel Knowhow verloren.
Was Übergänge für die Kinder bedeuten.
Kinder erleben oft schnelle und dramatische Übergänge, was für sie speziell in unserem Kontext der Fremdplatzierung und der begleiteten Besuche eine Herausforderung und Anstrengung ist. Sie können Ängste, Sorgen und Unsicherheit auslösen. Gute Übergänge sind für die uns anvertrauten Kinder und Jugendlichen besonders wichtig, dann können sie auch Zuversicht und Sicherheit auslösen. Wir müssen für die Kinder und Jugendlichen in Überganssituationen Worte finden, Erklärung und Übersetzung, damit sie verstehen, was vor sich geht. Wir sind gefordert, gut zu beobachten und zuzuhören. Begleitpersonen dieser Kinder müssen Übergänge gut und feinfühlig planen. Das braucht viel Zeit und hohe Präsenz. Rituale und Wiederholungen geben den Kindern Sicherheit, Klarheit und Orientierung.
Strukturelle Veränderungen sind nötig
Wünschbar wären weniger Beistandswechsel, und wenn, dass sie sorgfältiger vollzogen würden. Beiständ*innen könnten bei einer Fallübernahme zuerst einfach mal beobachten, schnell die Kinder, ihre Eltern und die Pflegeeltern kennenlernen und sich so gut in den Fall einarbeiten, bevor sie grosse Veränderungen anstreben. Dringend wäre, die Strukturen dahingehend zu verändern, dass Beiständ*innen nicht mehr so viele Fälle zu führen hätten.